Nacht über den Wassern
Erste Offizier Johnny Dott sich mit dem hiesigen Stationschef der Pan American besprachen. Hier, zwischen Kaffeetassen, Aschenbechern, Stößen von Funkmeldungen und Wetterberichten würden sie die endgültige Entscheidung treffen, ob sie den langen Nonstopflug über den Atlantik wagen konnten.
Der kritische Faktor war die Windstärke. Der Flug nach Westen war ein ständiger Kampf gegen den fast allgegenwärtigen Wind.
Piloten wechselten auf der Suche nach den günstigsten Bedingungen ständig die Flughöhe, was in eingeweihten Kreisen »Windsuche« genannt wurde. Die niedrigste Windstärke war gewöhnlich in den geringeren Höhen, doch unterhalb einer bestimmten Grenze geriet das Flugzeug möglicherweise in Gefahr, mit Schiffen oder eher noch mit Eisbergen zusammenzustoßen. Bei stärkerem Wind war der Treibstoffverbrauch größer, und manchmal war der vorhergesagte Wind so stark, daß die Treibstoffmenge, die der Clipper mitnehmen konnte, für die über dreitausend Kilometer von Foynes nach Neufundland nicht ausgereicht hätte. Dann mußte der Flug verschoben werden, und die Passagiere wurden zu einem Hotel gebracht, um dort zu warten, bis eine Wetterbesserung einsetzte.
Aber wenn der heutige Flug verschoben werden mußte, was würde dann aus Carol-Ann?
Eddie warf rasch einen Blick auf die Wetterberichte. Der Wind war stark und im mittleren Atlantik sogar stürmisch. Eddie wußte, daß das Flugzeug voll besetzt war. Es mußten deshalb genaue Berechnungen angestellt werden, ehe eine Entscheidung getroffen werden konnte. Er ertrug den Gedanken nicht, daß er möglicherweise hier in Irland festsitzen würde, während Carol-Ann sich in den Händen dieser Hundesöhne auf der anderen Seite des Ozeans befand.
Er trat zu der Wandkarte des Atlantiks und suchte nach den Koordinaten, die Luther ihm gegeben hatte. Die Stelle war gut gewählt. Sie lag nahe der kanadischen Grenze, zwei bis drei Kilometer vor dem Festland in einem Kanal zwischen der Küste und einer großen Insel in der Bay of Fundy. Jemand, der sich ein wenig mit
Wasserflugzeugen auskannte, konnte sie für einen idealen Platz zum Wassern halten. Sie war jedoch nicht ideal – die von den Clippern frequentierten Häfen waren geschützter –, wenngleich es dort leichter sein würde als auf offener See. Der Clipper konnte wahrscheinlich ohne größere Risiken aufsetzen. Eddie war erleichtert: Zumindest dieser Teil des Planes erschien ihm durchführbar. Ihm wurde wieder bewußt, daß für ihn selbst ein hoher Einsatz auf dem Spiel stand.
Krampfhaft überlegte er, wie er es anstellen könnte, das Flugzeug dort hinunterzubringen. Er könnte einen Motorschaden vortäuschen, aber der Clipper konnte auch mit nur drei Motoren weiterfliegen, außerdem war da noch der zweite Flugingenieur, Mickey Finn, der sich nicht sehr lange täuschen lassen würde. Eddie zermarterte sich das Hirn, doch ihm fiel nichts ein.
Statt dessen kam er sich wie ein Schuft vor. Er hinterging Menschen, die ihm vertrauten. Aber er hatte keine Wahl.
Und was war, wenn Tom Luther sein Versprechen möglicherweise gar nicht hielt? Warum sollte er? Er war ein gemeiner Verbrecher! Eddie schaffte es vielleicht, das Flugzeug an der richtigen Stelle zum Wassern zu bringen, und würde Carol-Ann trotzdem nicht zurückbekommen.
Jack, der Navigator, kam mit weiteren Wetterberichten herein und blickte Eddie merkwürdig an. Jetzt fiel Eddie erst auf, daß noch niemand etwas zu ihm gesagt hatte, seit er hereingekommen war. Hatten sie bemerkt, wie geistesabwesend er war? Er mußte sich zusammenreißen. »Bleib mal auf Kurs, Jack«, sagte er, das war die übliche Hänselei gegenüber einem Navigator. Er war kein guter Schauspieler, und in seinen eigenen Ohren klangen seine Worte gezwungen, aber alle lachten, und die Atmosphäre entspannte sich.
Captain Baker studierte die neuen Wetterberichte. »Der Sturm nimmt zu«, stellte er fest. »Wir werden ihn umfliegen müssen.« Gemeinsam arbeiteten Baker und Johnny Dott einen Flugplan nach Botwood in Neufundland aus, der sie um den Rand des Sturms herumbrachte und dem schlimmsten Gegenwind entgehen ließ. Als sie fertig waren, nahm Eddie die Wettervorhersagen und fing mit seinen Berechnungen an.
Für jeden Flugabschnitt hatte er die Vorhersagen für Windrichtung und Windstärke in tausend Fuß, in viertausend, achttausend und zwölftausend. Da er Fluggeschwindigkeit und Windstärke kannte, konnte er die relative Windgeschwindigkeit berechnen. Das gab ihm eine
Weitere Kostenlose Bücher