Nacht über den Wassern
Flugzeit für jeden Abschnitt in der günstigsten Höhe. Dann würde er mit Hilfe von Tabellen den Treibstoffverbrauch bei der gegenwärtigen Nutzlast des Clippers für die jeweilige Zeitspanne errechnen. Er würde den Treibstoffbedarf Abschnitt für Abschnitt in einer Graphik darstellen, die von der Crew die »Howgozit-Kurve« genannt wurde. Er würde den Gesamtbedarf ausrechnen und eine Reserve einkalkulieren.
Als er mit seinen Berechnungen fertig war, stellte er zu seiner Bestürzung fest, daß die Treibstoffmenge, die sie bis nach Neufundland brauchten, größer war, als der Clipper würde auftanken können.
Einen Moment lang tat er gar nichts.
Es waren nur ein paar lächerliche Pfund Nutzlast zuviel, ein paar Gallonen Benzin zuwenig. Und Carol-Ann wartete irgendwo in Todesangst.
Er hätte Captain Baker nun eigentlich mitteilen müssen, daß der Start verschoben werden mußte, bis der Sturm nachließ – es sei denn, er wäre bereit, mitten hindurchzufliegen.
Aber der Treibstoff würde ja nur ganz knapp nicht reichen…
Konnte er lügen?
Es gab ohnehin eine Sicherheitsmarge. Wenn wirklich etwas schiefging, konnte der Clipper immer noch durch den Sturm fliegen, statt um ihn herum.
Eddie haßte es, den Captain zu täuschen. Ihm war immer bewußt gewesen, daß das Leben der Passagiere von ihm abhing, und er war stolz auf seine akribische Genauigkeit.
Andererseits war seine Entscheidung nicht unabänderlich. Jede Flugstunde mußte er den Treibstoffverbrauch mit der »Howgozit- Kurve« vergleichen. Wenn sie mehr verbrauchten als vorhergesehen, konnten sie immer noch umkehren.
Wenn die Sache herauskäme, wäre das das Ende seiner Karriere.
Doch was bedeutete das schon, wenn das Leben seiner Frau und seines ungeborenen Kindes auf dem Spiel stand?
Er arbeitete die Berechnungen noch einmal durch; doch diesmal machte er beim Vergleich mit den Tabellen absichtlich zwei Fehler: Er nahm den Treibstoffverbrauch für die niedrigere Nutzlast in der nächsten Zahlenreihe. Nun lag das Ergebnis innerhalb der Sicherheitsmarge.
Trotzdem zögerte er noch. Lügen fiel ihm schwer, auch in seiner schrecklichen Zwangslage.
Nach einer Weile wurde Captain Baker ungeduldig und blickte über Eddies Schulter. »Na, was ist, Ed – fliegen wir oder bleiben wir?« Eddie zeigte ihm das frisierte Ergebnis auf dem Block, hielt dabei jedoch den Blick gesenkt, um dem Captain nicht in die Augen sehen zu müssen. Schließlich räusperte er sich nervös und bemühte sich um einen festen, zuversichtlichen Ton.
»Es wird knapp, Captain – aber wir fliegen.«
3. Kapitel
D iana Lovesey stieg auf den Kai des Hafens von Foynes, und ihr Selbstmitleid machte sie dankbar für den festen Boden unter den Füßen.
Sie war traurig, aber gefaßt. Sie hatte sich entschieden: Sie würde nicht auf den Clipper zurückkehren, nicht nach Amerika fliegen, Mark Alder nicht heiraten.
Ihre Knie waren weich, und einen Augenblick befürchtete sie, in Ohnmacht zu fallen, aber dieses Schwächegefühl schwand, und sie ging zum Zollgebäude.
Sie hängte sich bei Mark ein. Sobald sie allein waren, würde sie es ihm sagen. Es wird ihm das Herz brechen, dachte sie mit plötzlichem Schmerz, er liebt mich sehr. Doch jetzt war es zu spät, darüber zu grübeln.
Die Fluggäste waren alle ausgestiegen, außer den seltsamen Reisegefährten auf der anderen Gangseite: dem gutaussehenden Frank Gordon und dem kahlköpfigen Ollis Field. Lulu Bell hatte nicht aufgehört, auf Mark einzuplappern. Diana ignorierte sie. Sie ärgerte sich nicht mehr über sie. Die Frau war aufdringlich und anmaßend, doch sie hatte Diana die Augen geöffnet, ihr ermöglicht, ihre Lage richtig einzuschätzen.
Nach der Zollabfertigung verließen sie den Hafen und fanden sich am westlichen Rand einer winzigen Ortschaft mit nur einer Straße wieder, auf der gerade Kühe entlanggetrieben wurden. Sie mußten warten, bis die Herde vorbei war.
Diana hörte Prinzessin Lavinia laut sagen: »Weshalb hat man mich zu dieser Farm gebracht?«
Davy, der kleine Steward, antwortete besänftigend »Ich bringe Sie ins Flughafengebäude, Prinzessin.« Er deutete über die Straße zu einem großen Haus, an dem Efeu hochwucherte und das wie ein alter Gasthof aussah. »Es gibt dort ein sehr gemütliches Lokal, Mrs.
Walsh‘s Pub, wo man ausgezeichneten irischen Whiskey bekommt.«
Als die Kühe endlich vorbei waren, folgten mehrere Passagiere Davy zu Mrs. Walsh‘s Pub. Diana bat Mark: »Komm, machen wir einen
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