Nacht über den Wassern
Spaziergang durch den Ort.« Sie wollte endlich mit ihm allein sein. Er war damit einverstanden und lächelte sie an. Leider hatten auch andere Fluggäste die gleiche Idee, unter ihnen Lulu, und so schlenderte eine ganze Schar Passagiere die Straße von Foynes entlang.
Es gab hier einen kleinen Bahnhof, ein Postamt, eine Kirche und zwei Reihen grauer Steinhäuser mit Schieferdächern. In einigen befanden sich Läden. Mehrere Pferdewagen parkten an der Straßenseite, aber nur ein Automobil. Die Einheimischen in Tweed und Homespun starrten die Fremden in Pelz und Seide an, und Diana kam sich wie in einem Festzug vor. Foynes hatte sich noch nicht daran gewöhnt, Zwischenstation für die Reichen und Privilegierten dieser Welt zu sein.
Diana hoffte, daß die Gruppe sich aufteilen würde, aber alle blieben dicht beisammen wie Forschungsreisende, die fürchten, sich zu verirren. Sie kam sich allmählich wie in einer Falle vor. Die Zeit verging. Als sie an einem Pub vorbeikamen, sagte sie plötzlich zu Mark: »Gehen wir hinein.«
»Eine großartige Idee!« rief Lulu sofort. »In Foynes gibt es sowieso nichts zu sehen.«
Jetzt reichte es! »Ich würde wirklich gern allein mit Mark reden«, sagte Diana verärgert.
»Schon gut«, meinte Lulu sofort. »Wir spazieren weiter und lassen euch Turteltäubchen allein. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir hier nicht schnell ein anderes Pub fänden.« Ihre Stimme klang heiter, aber ihre Augen blickten kühl.
Mark sagte verlegen: »Tut mir leid, Lulu…«
»Ach was«, erwiderte sie freundlich.
Diana gefiel es nicht, daß Mark sich für sie entschuldigte. Sie drehte sich auf dem Absatz um und betrat das Haus. Er konnte ihr folgen, wenn er wollte.
Es war dämmerig und kühl in dem Lokal. Hinter einer hohen Bar befand sich ein Regal mit Flaschen und Fässern, davor standen ein paar Tische und Stühle auf einem Dielenboden. Zwei alte Männer in der Ecke starrten Diana an. Sie trug über ihrem getupften Kleid einen orangeroten Seidenmantel und kam sich wie eine Prinzessin in einer Pfandleihe vor.
Eine kleine Frau mit einer Schürze tauchte hinter der Bar auf. »Kann ich bitte einen Brandy haben?« bat Diana. Sie wollte sich ein wenig Mut antrinken und nahm an einem kleinen Tisch Platz.
Mark kam herein – wahrscheinlich, nachdem er sich noch einmal bei Lulu entschuldigt hat, dachte Diana verstimmt. Er setzte sich neben sie und fragte: »Was sollte das?«
»Ich hatte genug von Lulu«, erwiderte Diana.
»Warum mußtest du so unhöflich sein?«
»Ich war nicht unhöflich. Ich sagte lediglich, daß ich mit dir allein reden wollte.«
»Wäre das nicht etwas taktvoller möglich gewesen?«
»Ich habe das Gefühl, daß ein Wink mit dem Zaunpfahl bei ihr nicht genügt.«
Er wirkte verärgert und abweisend. »Da täuschst du dich. Lulu ist sehr sensibel, das verbirgt sie nur unter ihrer Lebhaftigkeit.«
»Es ist sowieso egal.«
»Wie kann es egal sein? Du hast soeben eine meiner ältesten Freundinnen beleidigt!«
Die Wirtin brachte Dianas Brandy. Diana nahm einen tiefen Schluck, um ihre Nerven zu beruhigen. Mark bestellte ein Glas Guinness. Diana holte tief Luft und sagte: »Es ist egal, weil ich mir das Ganze anders überlegt habe und nicht mit dir nach Amerika kommen werde.«
Er wurde blaß. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
»Ich habe darüber nachgedacht. Ich möchte nicht nach Amerika. Ich kehre zu Mervyn zurück – wenn er mich noch will.« Aber sie war sicher, daß er wollte.
»Du liebst ihn nicht. Das hast du mir gesagt. Und ich weiß, daß es stimmt!«
»Was weißt du schon? Du warst nie verheiratet.« Er blickte sie verletzt an, und sie wurde weicher. Sie legte eine Hand auf sein Knie. »Du hast recht, ich liebe Mervyn nicht, wie ich dich liebe.« Sie schämte sich und zog die Hand zurück. »Aber das ändert nichts.«
»Ich habe mich zuviel mit Lulu beschäftigt«, meinte Mark zerknirscht. »Es tut mir leid, Liebchen. Ich entschuldige mich. Es lag wohl daran, daß ich sie so lange nicht gesehen hatte. Ich habe mich nicht um dich gekümmert. Das ist unser großes Abenteuer, aber ich hatte es eine Stunde lang vergessen. Bitte vergib mir.«
Er war lieb, wenn er spürte, daß er im Unrecht war. Seine unglückliche Miene wirkte jungenhaft. Diana zwang sich, sich daran zu erinnern, wie sie sich vor einer Stunde gefühlt hatte. »Es ist nicht nur Lulu. Ich glaube, ich habe sehr unüberlegt gehandelt.«
Die Wirtin brachte Marks Bier, aber er rührte es nicht
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