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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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bewußt, daß ihr Ehemann sah, wie sie und ein ihm fremder Mann einander an den Händen hielten. Hastig zog sie sie zurück.
    »Was soll das?« fragte Mark. »Was ist los?«
    Mervyn kam an ihren Tisch, stemmte die Hände in die Hüften und starrte beide an.
    »Wer zum Teufel ist dieser Kerl?« fragte Mark.
    »Mervyn«, hauchte Diana.
    »Großer Gott!«
    »Mervyn – wie bist du hierhergekommen?« Diana starrte ihn immer noch ungläubig an.
    »Geflogen«, antwortete er knapp, wie es seine Art war.
    Sie sah, daß er eine Lederjacke trug und einen Helm unter den Arm geklemmt hielt. »Aber – aber woher hast du gewußt, wo ich bin?«
    »Du hast geschrieben, daß du nach Amerika fliegen wirst, und da gibt es nur eine Möglichkeit.« Triumph schwang in seiner Stimme.
    Es war unverkennbar, wie stolz er darauf war, daß er herausgefunden hatte, wo sie war, und sie wider alle Wahrscheinlichkeit eingeholt hatte. Sie hätte nie gedacht, daß er das mit seinem kleinen Flugzeug schaffen könnte. Diese Möglichkeit war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Sie fühlte sich ganz schwach vor Dankbarkeit – weil er sich so viel aus ihr machte, daß er ihr nachgejagt war.
    Er setzte sich zu ihnen. »Bringen Sie mir einen doppelten irischen Whiskey!« rief er der Wirtin zu.
    Mark griff nach seinem Bierglas und nippte nervös daran. Diana blickte ihn an. Es hatte zunächst so ausgesehen, als hätte Mervyn ihn eingeschüchtert, doch jetzt wurde ihm offenbar klar, daß Mervyn nicht vorhatte, sich mit ihm zu prügeln, und er fühlte sich nur unbehaglich. Er rückte seinen Stuhl ein Stückchen vom Tisch ab, als wolle er sich von Diana distanzieren. Vielleicht schämte auch er sich, weil Mervyn sie beim Händchenhalten ertappt hatte.
    Diana trank von ihrem Brandy. Mervyn beobachtete sie verunsichert. Er war sichtlich verwirrt und verletzt, das rührte sie so, daß sie sich am liebsten in seine Arme geflüchtet hätte. Er war den ganzen weiten Weg gekommen, ohne zu wissen, welcher Empfang ihm bevorstand. Sie streckte die Hand aus und legte sie kurz beruhigend auf seinen Arm.
    Zu ihrer Überraschung machte ihn das verlegen, und er warf einen besorgten Blick auf Mark, als verwirre es ihn, daß seine Frau ihn in Gegenwart ihres Liebhabers berührte. Sein Whiskey kam, und er leerte ihn in einem Zug. Mark wirkte verletzt und rückte seinen Stuhl wieder näher an den Tisch.
    Diana war völlig durcheinander. In einer Situation wie dieser hatte sie sich noch nie befunden. Beide Männer liebten sie. Sie hatte mit beiden geschlafen – und beide wußten es. Es war entsetzlich peinlich. Sie wollte beide trösten, aber sie wagte es nicht. Sie fühlte sich in die Enge getrieben und lehnte sich zurück, um ein bißchen mehr Abstand zwischen sich und die zwei zu legen. »Mervyn«, sagte sie, »ich wollte dir nicht weh tun.«
    Er sah sie eindringlich an. »Glaube ich dir.«
    »Wirklich? Kannst du überhaupt verstehen, was geschehen ist?«
    »In groben Zügen ja, so einfältig ich auch bin«, antwortete er sarkastisch. »Du bist mit deinem Traumprinzen durchgebrannt.« Er blickte Mark an und beugte sich aggressiv näher zu ihm. »Ein Amerikaner offenbar; der sorte Typ, den du um den kleinen Finger wickeln kannst.«
    Mark lehnte sich zurück und schwieg, blickte Mervyn jedoch gespannt an. Mark war kein Herausforderer. Er wirkte nicht beleidigt, nur interessiert. Mervyn hatte in Marks Leben eine große Rolle gespielt, obwohl sie einander nie begegnet waren. Die ganzen Monate hatte die Neugier über den Mann an Mark genagt, mit dem Diana jede Nacht zu Bett ging. Jetzt wurde sie befriedigt, und er war fasziniert. Mervyn dagegen interessierte sich nicht im geringsten für Mark.
    Diana schaute die beiden Männer an. Sie hätten kaum verschiedener sein können. Mervyn war groß, aggressiv, verbittert, kühn. Mark war klein, adrett, wachsam, aufgeschlossen. Plötzlich schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, daß Mark diese Szene wahrscheinlich einmal in einer Show verwerten würde.
    Ihre Augen brannten von ungeweinten Tränen. Sie holte ein Taschentuch hervor und schneuzte sich. »Ich weiß, daß ich unüberlegt gehandelt habe.«
    »Unüberlegt!« schnaubte Mervyn. »So etwas Bescheuertes habe ich selten erlebt!«
    Diana wand sich. Seine Geringschätzung schmerzte sie immer tief. Doch in diesem Fall hatte sie sie verdient.
    Die Wirtin und die beiden Männer in der Ecke verfolgten das Gespräch mit unverhohlenem Interesse. Mervyn winkte der Wirtin zu. »Könnte ich ein

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