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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Landfläche.
    Von seinem Standort aus konnte Ross weder die Sonnen- noch die Nachtseite sehen. Der Zwielichtgürtel war, rechnete man die Schwankungen ein, fast zweitausend Kilometer breit, und während der Planet in seine Umlaufbahn eintauchte, würde die Sonne knapp über dem Horizont erscheinen und dann wieder verschwinden. In einem Streifen von etwa dreißig Kilometer Breite in der Mitte des Zwielichtgürtels glichen sich die Temperaturen von Tag- und Nachtseite soweit aus, daß ein halbwegs stabiles Klima entstand. Neunhundert Kilometer nach beiden Seiten verlor sich der Gürtel entweder zur Nacht- oder zur Sonnenseite hin.
    Merkur war ein fremder und feindseliger Planet. Menschen konnten sich nur kurze Zeit auf ihm aufhalten – die Art von Leben, die fähig wäre, ständig auf Merkur zu existieren, konnte Ross sich nicht vorstellen. Ross stand in seinem Raumanzug vor dem Schiff und betätigte mit dem Kinn den Lichtfilter des Helmes. Zuerst sah er in Richtung auf die Nachtseite, wo er eine schmale, dunkle Linie am Horizont zu erkennen glaubte – was nur Einbildung war, wie er wußte – und dann zur Sonnenseite.
    In der Ferne sah er Llewellyn und Falbridge, die den spinnenförmigen Parabolspiegel aufrichteten. Gegen den indifferenten Himmel konnte er die Konstruktion ausmachen – und dahinter? Eine dünne helle Linie über den Berggipfeln? Auch Einbildung, wie er wußte. Brainerd hatte ausgerechnet, daß die Sonnenstrahlung an diesem Ort frühestens in einer Woche zu sehen war. Und in einer Woche würde Ross wieder auf der Erde sein.
    Er wandte sich an Krinsky. »Der Turm ist fast fertig. Sie müssen jeden Augenblick mit dem Fahrzeug zurück sein. Bereiten Sie sich auf Ihre Reise vor.«
    Während der Techniker sich die Leiter zur Luke emporhangelte, kehrten Ross' Gedanken zu Curtis zurück. Der junge Astrogator hatte während der ganzen Reise davon gesprochen, den Merkur sehen zu wollen – und jetzt, da sie tatsächlich hier waren, lag er in einem Netz aus Kunststoffschaum tief unten irgendwo im Schiff und bettelte monoton darum, sterben zu dürfen.
    Krinsky kehrte zurück – jetzt trug er den Schutzanzug zusätzlich über seinem Raumanzug. Er ähnelte eher einem kleinen Panzer als einem Menschen. »Kommt das Fahrzeug zurück, Sir?«
    »Ich werde nachsehen.«
    Ross schob sich Linsen vor die Augen und starrte hinaus. Es schien ihm, als sei die Temperatur irgendwie gestiegen. Noch eine Illusion, dachte er, während er in die Ferne blinzelte.
    Jetzt entdeckte er den Radarturm, dann blieb sein Mund offen stehen.
    »Stimmt etwas nicht, Sir?«
    »Das kann man wohl sagen.« Ross kniff die Augenbrauen zusammen und sah noch einmal hin. Ja – der neuerrichtete Radarturm begann sich zu verformen und zu schmelzen. Er sah zwei kleine Gestalten, die wie verrückt über die Ebene rannten, hin zu einem silbernen Punkt – dem Kettenfahrzeug. Und – was völlig unmöglich war – das erste Glühen einer hellen Strahlenquelle schimmerte auf den Bergspitzen hinter dem Turm.
    Die Sonne ging auf – eine Woche zu früh!
    Ross stürzte zurück ins Schiff, gefolgt von dem schwerfälligeren Krinsky. In der Luftschleuse halfen ihm mechanische Hände aus dem Anzug, und während er Krinsky bedeutete, seinen Schutzanzug anzubehalten, rannte er hinauf in die Zentrale des Schiffes.
    »Brainerd! Wo, zum Teufel, stecken Sie?«
    Der Erste Astrogator erschien. »Ja, Kapitän?«
    »Sehen Sie auf den Bildschirm«, sagte Ross mit gequälter Stimme. »Sehen Sie sich den Radarturm an.«
    »Er ... schmilzt«, sagte Brainerd überrascht. »Aber das ... das ...«
    »Ich weiß: Es ist unmöglich.« Ross sah zum Armaturenbrett. Die Außentemperatur war um fast zwei Grad gestiegen, und sie stieg weiter.
    Um den Turm zum Schmelzen zu bringen, bedurfte es mindestens dreihundert Grad. Ross sah genau auf den Schirm und entdeckte das Fahrzeug, das mit Höchstgeschwindigkeit zurückkehrte; Llewellyn und Falbridge lebten also noch, auch wenn ihnen da draußen verdammt heiß geworden sein mußte. Die Temperatur draußen am Schiff war auf siebzig Grad geklettert – vermutlich stand sie bei etwa einhundertfünfzig, wenn die Männer am Schiff ankamen.
    Ärgerlich wandte Ross sich an den Astrogator. »Ich hatte angenommen, Sie bringen uns in den Sicherheitsstreifen hinunter«, sagte er scharf. »Überprüfen Sie Ihre Zahlen und finden Sie heraus, wo, zum Teufel, wir uns wirklich befinden. Dann arbeiten Sie eine Startbahn aus. Da hinten kommt die Sonne über

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