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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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die Hügel.«
     
    Die Temperatur erreichte die Neunzig-Grad-Marke. Das Kühlsystem war in der Lage, bis zu zweihundertzehn Grad alles unter Kontrolle zu halten, darüber hinaus aber bestand die Gefahr, daß es überlastet wurde. Das Expeditionsfahrzeug kam näher – wahrscheinlich herrschten da drin schon höllische Temperaturen, dachte Ross.
    Im Geist wog er Alternativen gegeneinander ab. Wenn die Außentemperatur über einhundertfünfzig stieg, riskierte er, das Kühlsystem zu zerstören, indem er auf die beiden Männer im Fahrzeug wartete. Er beschloß, ihnen bis zu einhundertfünfundsiebzig Grad Zeit zu geben und dann zu starten. Es war Unsinn, zwei Leben zu retten und dafür mit sechs Menschenleben zu bezahlen. Die Außentemperatur stieg auf einhundert Grad. Der Anstieg beschleunigte sich rapide.
    Die Schiffsbesatzung wußte jetzt, worum es ging. Ohne direkte Anweisungen von Ross bereiteten sie die Leverrier für einen Notstart vor.
    Das Kettenfahrzeug kroch näher heran. Die beiden Insassen waren mit ihrem Fahrzeug nur noch knapp fünfzehn Kilometer entfernt – bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sechzig Stundenkilometer konnten sie in fünfzehn Minuten da sein. Vom Horizont her reckten sich leuchtende Sonnenfinger nach dem Schiff.
    Brainerd sah von seinen Berechnungen auf. »Ich schaffe es nicht. Es kommen keine Ergebnisse dabei heraus.«
    »Was?«
    »Ich berechne gerade unseren Standort – aber ich kann einfach keinen klaren Gedanken fassen. Mein Kopf ist ganz umnebelt.«
    Zum Teufel, dachte Ross. Jetzt war der Augenblick gekommen, an dem ein Kapitän sein Gehalt verdienen konnte. »Gehen Sie weg«, ordnete er an. »Lassen Sie es mich machen.«
    Er setzte sich vor den Tisch und begann zu rechnen. Brainerd hatte fast alle Berechnungen auf dem Papier immer wieder durchgestrichen – es war, als habe der Astrogator völlig vergessen, was sein Beruf war.
    Mal sehen ... wenn wir ...
    Der Stift flog über das Papier – aber schon während er arbeitete, sah Ross, daß alles nicht stimmte. Sein Geist schien gelähmt – offensichtlich konnte er die Berechnungen nicht anstellen. Er sah auf und sagte: »Sagen Sie Krinsky Bescheid, daß er bereit sein soll, die Männer aus dem Fahrzeug zu holen, wenn sie hier sind. Wahrscheinlich sind sie halb gekocht.«
    Temperatur: Einhundertzwanzig Grad. Ross starrte wieder auf das Blatt. Verdammt, es konnte doch nicht so schwer sein, ein paar Berechnungen auszuführen.
    Doc Spangler erschien. »Ich habe Curtis freigelassen«, verkündete er. »In seinem Lager ist er während eines Starts nicht sicher.«
    Von weiter hinten kam ein ständiges Murmeln: »Laßt mich doch sterben ... laßt mich doch sterben ...«
    »Sagen Sie ihm, daß sein Wunsch wahrscheinlich in Erfüllung geht«, sagte Ross leise. »Wenn es mir nicht gelingt, den Start zu errechnen, werden wir hier alle geröstet.«
    »Wieso machen Sie das? Was ist mit Brainerd los?«
    »Ist unpäßlich, er kann die Berechnung nicht ausführen. Und was das betrifft, so fühle ich mich auch komisch.«
    Nebelfinger schienen sein Gehirn einschließen zu wollen. Er sah zur Anzeige: Einhundertdreißig Grad. Die Männer in dem Fahrzeug hatten jetzt nur noch fünfundvierzig Grad Zeit, zurückzukehren ... oder waren es vierhunderteinundfünfzig? Er war durcheinander, völlig verstört.
    Doc Spangler sah auch komisch aus – er runzelte neugierig die Stirn. »Ich fühle mich plötzlich so abgespannt«, erklärte er. »Ich weiß, daß ich zu Curtis zurückkehren sollte, aber ...«
    Der Verrückte brabbelte immer noch vor sich hin. Der Teil von Ross' Verstand, der noch klar denken konnte, sah ganz klar, daß ein unbeaufsichtigter Curtis zu allem fähig sein konnte.
    Temperatur: Einhundertvierzig Grad. Das Expeditionsfahrzeug schien nähergekommen zu sein. Am Horizont war von dem früheren Radarturm nur noch ein unförmiger Haufen zu erkennen.
    Dann ein Schrei. »Es ist Curtis«, brüllte Ross, während sein Verstand plötzlich wieder klar zu sein schien. Er rannte los, gefolgt von Spangler, aber es war zu spät.
    Curtis lag in einer Blutlache am Boden. Irgendwo hatte er eine Schere gefunden.
    Spangler beugte sich hinunter. »Er ist tot.«
    »Natürlich ist er tot«, sagte Ross. Sein Gehirn schien jetzt ganz klar zu sein – im Augenblick von Curtis' Tod hatte sich der Nebel gelichtet. Während Spangler sich um den Toten kümmerte, kehrte Ross an seinen Arbeitstisch zurück und sah auf die Berechnungen.
    Mit eiskalter Deutlichkeit

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