Nacht über der Menschheit
»Astrogator Curtis wird nicht kommen. Er liegt hinten im Psycho-Behälter – glücklicherweise kommen wir auf dieser Reise ohne ihn aus.«
Er wartete, bis die Bedeutung dieser Worte allen klar geworden war.
»Also los«, fuhr er fort. »Der Flugplan verlangt von uns, daß wir uns maximal zweiunddreißig Stunden bis zum Abflug auf Merkur aufhalten. Brainerd, wie paßt das zu unserer Landestelle?«
Der Astrogator runzelte die Stirn und ließ sich ein paar Berechnungen durch den Kopf gehen. »Die gegenwärtige Position ist geringfügig zur Sonnenseite hin verschoben – nach meinen Berechnungen dürfte die Sonne aber nicht zu hoch aufgehen, so daß wir mit höchstens fünfundsechzig Grad Celsius zu rechnen haben. Unsere Schutzanzüge werden mit dieser Temperatur spielend fertig.«
»Gut. Llewellyn, Sie und Falbridge holen die Radar-Pumpen heraus und bauen den Turm so weit östlich auf, wie es möglich ist, ohne geröstet zu werden. Nehmen Sie das Kettenfahrzeug, aber schauen Sie mit einem Auge immer auf das Thermometer. Wir haben nur einen Hitzeanzug, und der ist für Krinsky.«
Llewellyn, ein schlanker Raumfahrer mit tiefliegenden Augen, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Wie weit nach Osten schlagen Sie vor, Sir?«
»Der Zwielichtgürtel bedeckt etwa ein Viertel von Merkurs Oberfläche«, sagte Ross. »Ihnen steht also ein Streifen von rund siebenundvierzig Grad Breite als Bewegungsspielraum zur Verfügung. Ich rate aber, sich nicht weiter als etwa dreißig Kilometer zu entfernen. Danach wird es heiß – und zwar stetig und schnell.«
Ross wandte sich an Krinsky. Der Elektrotechniker war der Schlüsselmann der Expedition – seine Aufgabe war es, die Daten der zwei Solar-Akkumulatoren abzuholen, die die erste Merkur-Expedition hinterlassen hatte. Er sollte die Beanspruchung messen, die die Sonnenenergie darstellte, hier, wo man der Strahlenquelle so nah war. Weiterhin sollte er Kraftlinien untersuchen, die in dem seltsamen Magnetfeld des kleinen Planeten entstanden und die Akkumulatoren für weitere Tests zum späteren Zeitpunkt vorbereiten.
Krinsky war ein großer, kräftig gebauter Mann von der Sorte, die einen schweren Hitzeanzug mit Leichtigkeit tragen konnten. Der Anzug war bei längeren Arbeiten in der Sonnenzone, wo sich die Akkumulatoren befanden, unbedingt nötig. Aber selbst ein Riese wie Krinsky konnte die Anstrengungen, die damit verbunden waren, nur ein paar Stunden durchhalten.
»Wenn Llewellyn und Falbridge den Radarturm aufgebaut haben, steigen Sie in Ihren Anzug, Krinsky, und halten sich bereit. Sobald wir die Akkumulatoren-Station geortet haben, wird Dominic Sie so weit wie möglich nach Osten fahren und absetzen. Der Rest ist dann Ihre Sache. Wir werden die Daten, die Sie liefern, aufzeichnen, aber wir möchten auch Sie gern lebendig zurückbekommen.«
»Ja, Sir.«
»Das ist alles«, sagte Ross. »An die Arbeit.«
Ross' Aufgaben nach der Landung waren rein organisatorischer Art – und während die Leute seiner Besatzung sich auf ihre Aufträge vorbereiteten, fiel ihm unangenehm auf, daß er zu vorübergehendem Nichtstun verdammt war. Seine Aufgabe war die eines Aufsehers – wie die eines Dirigenten eines Symphonieorchesters, der selbst kein Instrument spielt und hauptsächlich darauf zu achten hatte, daß alles bis zum Schluß harmonisch ablief.
Jetzt konnte er nur noch warten.
Llewellyn und Falbridge fuhren in dem zweigliedrigen, hitzebeständigen Kettenfahrzeug los, das im Bauch der Leverrier mitgebracht worden war. Ihre Aufgabe war einfach: Sie sollten den aufblasbaren Kunststoff-Radarturm nahe an der Sonnenzone aufstellen. Der Turm, der von der ersten Expedition dagelassen worden war, war schon vor langer Zeit in den Bereich der Sonnenseite geraten und zerstört worden – der Kunststoffturm und der Parabolspiegel, der nur mit einer dünnen, reflektierenden Aluminiumschicht verkleidet war, konnten der Gluthitze der Sonnenseite nicht widerstehen.
Dort draußen wurde es bis zu dreihundertfünfzig Grad Celsius heiß, wenn die Sonne am nächsten war. Die Abweichungen in der Umlaufbahn Merkurs sorgten für gewaltige Temperaturunterschiede, aber auf der Sonnenseite ging die Temperatur niemals unter zweihundert Grad hinunter, selbst dann nicht, wenn der Planet sich am sonnenfernsten Punkt seiner Umlaufbahn befand. Auf der Nachtseite gab es wenig Veränderungen – die Temperatur lag stets fast am absoluten Nullpunkt, und gefrorene Wolken schweren Gases bedeckten die
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