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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ihrem Geld konnte Isaac das Vieh kaufen und die Ranch pachten. Aber ich habe es in der Kirche gehört: Wer etwas hat, dem soll noch mehr gegeben werden, als er hat. Wer aber nichts hat, dem soll genommen werden, was er hat. So sind sie und so bleiben sie. Mir ist nur angst um Joe.«
    Queenie hätte antworten können: Mir auch. Aber sie wollte ihren Gram nicht eingestehen.
    Sie konnte darüber mit keinem Menschen sprechen und selbst die, die zu ihr kamen, um zu berichten, was sie wußten oder zu wissen glaubten, schreckten vor ihrem verkrampft abweisenden Verhalten zurück. So blieb sie allein und ging wieder zurück zu den Geheimnissen ihrer Bilder. Der Fries machte gute Fortschritte. Zwei junge indianische Künstler von außerhalb waren gekommen und an die Ausführung gegangen, die für Queenie zu anstrengend gewesen wäre. So entstand an der Wand des großen Fest- und Sportsaales der Schule ein eindrucksvoller Ausschnitt aus der Geschichte der Prärie-Indianer: das freie Leben, der Vertrag, die Unterwerfung. Es war eine tragische Geschichte, keine freudige.
    Was sollte Queenie von Freude malen? Sie hatte überhaupt das Interesse an dem Fries und auch an den geometrischen Mustern wieder halb verloren. Es wühlte in ihr. Sie wollte ihre eigenen Geheimnisse und Schmerzen bewältigen und sich nicht länger den Gesetzen außer ihr unterwerfen oder anpassen. Vielleicht war sie ein schwankendes Rohr, sagte sie sich selbst, aber wenn der Sturm über sie kam, konnte sie nicht widerstehen. Das wußte sie schon.
    Es wühlte und gärte in ihr. Alle Schulstunden wurden ihr lästig, weil sie dadurch von ihren Gedanken und der erwählten Arbeit abgehalten wurde. Ihre Leistungen sanken, wenn auch keineswegs unter den Durchschnitt. Aber ihre innere Spannung galt nur noch der Stunde, in der sie von der Schule zurückkam und, nach einer hastigen Erledigung der Pflichten auf der Ranch, hinauflaufen konnte zu dem Schutzdach zwischen den Kiefern, wo sie verborgen saß und ihre ersten Skizzen entwarf. Dunkel sollte es sein, dieses Bild, schwer zu enträtseln für weiße Männer. Nacht sollte es sein, braun-blau-schwarze Nacht, Erde und Himmel ohne Licht und das Gelb der Feuer aufblitzend. Die Gestalten der Tänzer waren nichts als Variationen der Dunkelheit. So sollte es sein – ein großes, mächtiges, erbittertes und gläubiges Bild.
    Queenie rang damit. Eine Skizze folgte der anderen. Noch war alles zu klein, oder zu offen oder zu verwischt. Klar sollte es sein in der Finsternis, klar für jene, die die Nacht und den Tag kannten. Es war eine schwere Aufgabe; sie fühlte sie wie eine Last im Nacken, aber sie konnte sie nicht abschütteln, und in Wahrheit wollte sie auch nicht davon lassen. Es lag eine Kraft in dem, was sie schaffen wollte, und so ertrug sie das Alleinsein und die Angst eher und brauchte niemanden um Hilfe zu bitten. Noch nicht.
    Das neue Leben wuchs in ihr. Es hatte keinen Schaden genommen. Nur hin und wieder, wenn sie des Nachts auf den Decken lag und draußen ein Käuzchen schrie, zuckte sie zusammen und dachte an die Stunde, in der sie mit Joe King, dem man an jenem Tag die Handschellen abgenommen hatte, über die Agenturstraße gegangen war. Sie hörte dann seine Stimme und seine Worte wieder: – ›Ich gebe denen auch eine Bewährungsfrist. Wenn sie abgelaufen ist, hast du keinen Mann mehr, Queenie. Dann sollen sie Joe King erst kennenlernen.‹
    In solchen Stunden stöhnte Queenie laut. Es gab niemand, der sie hören konnte, niemand, vor dem sie sich zu schämen hatte. Aber solche Stunden kamen öfter, seit Queenie am Brunnen auf der Booth-Ranch Mary getroffen hatte.
    Der Brunnen war so schnell, wie Eivie und die Firma versprochen hatten, vertieft, ausgebaut und gedeckt worden, und auch der Zaun war neu gezogen worden, so daß Queenie die Möglichkeit hatte, Wasser zu holen, ohne das Weidegelände der Booth-Ranch betreten zu müssen. Sie machte von ihrem nunmehr verbrieften Recht, den Brunnen zu benutzen, regelmäßig Gebrauch. Die Familie Booth ließ sich, wenn Queenie kam, nie sehen. Nur einmal kam Mary mit offenbarer Absicht herbei, holte ebenfalls Wasser und sagte ohne Einleitung oder Umschweife: »Harold tut gut beim Schwager, wird wieder ein ordentlicher Mensch. Hoffentlich kann man von deinem Joe bald dasselbe sagen. Es ist ja furchtbar.«
    Queenie spürte, daß sie etwas nicht wußte, was Mary zu wissen schien. Sie schämte sich zu fragen, aber ihre Unruhe trieb sie, auf andere Weise nach einer

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