Nacht über der Prärie
Ihrem langen Leben einmal ein Pferd gehabt…«
»Hau, ich habe viele Pferde gehabt – und eins, für das ich mein Leben gegeben und für das ich jeden getötet hätte, der es mir nehmen wollte.«
»Fahren wir.«
Jeder ging an das Steuer seines Wagens. Stonehorn fuhr voran, Okute folgte. Die Wagen wurden auf der leeren Fahrbahn ohne Bedenken auf achtzig Meilen pro Stunde gebracht, und so war die Strecke bald zurückgelegt. Stonehorn lenkte den Furchenweg hinauf, und die Wagen hielten am Hang auf der Wiese vor dem kleinen Haus. Die beiden Fahrer steckten die Startschlüssel ein und begaben sich ohne weitere Erklärungen oder Einleitungen zu der Koppel. Stonehorn hatte seit dem Pferdediebstahl immer die Furcht, sie leer zu finden, wenn er fort gewesen war, und atmete jedesmal auf, wenn er die Pferde wiedersah.
Der Schecke kam zum Zaun und begrüßte seinen Reiter.
Okute hatte sich eine Zigarette angesteckt, bot Stonehorn an und dieser nahm. Es war eine sehr gute Sorte.
So standen die beiden Indianer lange schweigend beieinander. Schließlich wandte sich Okute um und richtete den Blick auf die weißen Berge und auf den Friedhof, wo der Krummstab auf dem Häuptlingsgrabe stand und das Bündel Adlerfedern im leichten Winde schaukelte.
Er entschloß sich, dorthin zu gehen, schien auf dem Friedhof etwas zu suchen und fragte schließlich in Stonehorns Stammessprache: »Ist hier das Grab der Mutter Tashunka-witkos?«
Stonehorn sah dem anderen überrascht ins Gesicht und führte ihn zu einem Grab ohne Namen, Aufschrift oder Kreuz. »Hier.«
Okute blieb dabei stehen, so, daß er gleichzeitig hinüberschauen konnte zu den weißen Bergen. Er stand wiederum lange und schweigend da.
Schließlich machte er sich auf den Rückweg zu Haus und Koppel. »Wollen wir ein Stück miteinander reiten, King?«
Statt aller Antwort zäumte Joe die Pferde auf, aber ohne Sattel, und gab Okute den Schecken. Die beiden sprangen im gleichen Augenblick auf die Hengste auf.
Die Tiere gingen in lebhaftes Tempo über, quer über den sanften Hang und seine Buckel. Stonehorn bestimmte die Richtung, links hinauf zu den kiefernbewachsenen Höhen, darüber hinweg in das hügelige Gelände. Stonehorn lenkte dann schon zum Rückweg ein, denn er mußte nachmittags Queenie am Schulbus abholen.
Während des Heimrittes ließ Stonehorn den anderen voran und nahm sich Zeit, ihn beim Reiten zu beobachten. Okute war ein sehr alter Mann, aber den Schecken regierte er ebenso unmerklich und sicher wie ein guter junger Reiter. Das Tier folgte ihm ohne Schwierigkeiten. Er ist ein Pferdemensch, dachte Stonehorn, und er ist von meinem Stamm. Vielleicht kann ich mit ihm sprechen.
Das gleiche dachte der Alte über Joe.
Joe brachte den Dunkelbraunen in die Koppel und machte sich mit dem Schecken und der Stute auf. »Ich muß meine Frau abholen«, sagte er. »Sie ist achtzehn Jahre alt und in der Seniorenklasse der Tagesschule.«
Solange Joe unterwegs war, blieb Okute allein auf der Ranch. Das Haus hatte Joe King aufgeschlossen, aber der Gast ging nicht hinein. Der Himmel war ohne Wolken, das Blau verflimmerte im Unendlichen, der Wind wehte leise über das graugelbe Land. Okute ging zu der Koppel und unterhielt sich mit dem dunkelbraunen Hengst, denn er kannte die Sprache der Pferde. Auch die Kaninchen hatte er gesehen, doch ihre Sprache kannte er nicht. Er wanderte hinauf zu der Kieferngruppe, wo Joe das Schutzdach gebaut hatte, begutachtete es mit einem Blick, war zufrieden, und ließ sich zwischen den Bäumen im Grase nieder. Er hatte von hier einen guten Rundblick über die Straße im Tal, die Booth-Ranch drüben auf der anderen Talseite, die dürren Wiesen ringsum und die Berge. Er beobachtete auf der Booth-Ranch einen Buben und Mary, die auf dem Kartoffelacker arbeiteten, sah die alte Mutter aus dem Fenster schauen und Harold mit dem neuen Volkswagen nach Hause kommen. Er bemerkte, wie Booth junior beim Aussteigen einen Blick herüberwarf zu der King-Ranch, und dieser Blick schien, nach der Haltung des Kopfes zu urteilen, vor allem den beiden Sportwagen zu gelten.
Als Okute Joe King mit seiner Frau zurückkehren sah, ging er rechtzeitig zum Haus hinunter, so daß er dort stand, um Queenie zu begrüßen. Sie gefiel ihm, und er lächelte ein wenig. Er hatte kein Gesicht, zu dem ein Lächeln paßte; seine Züge erschienen von Leiden, Strapazen und Alter ausgearbeitet, so daß alles Weiche geschwunden war wie Erde aus dem Fels, den das Wasser auswäscht. Aber
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