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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zurückgekämmt und hing bis in den Nacken. Seine Kleidung war nach Cowboyart, aber ganz aus weichem Leder gefertigt, Hemd, Weste, Hose, der breite gestickte Gürtel und die mokassinartigen Schuhe. Seine Arme und Hände waren nicht ungeduldig wie die der weißen Männer. Da er nichts zu tun hatte, ließ er sie ruhig herabhängen.
    Als Joe zum Hospital gebracht worden war, hatte er den Wagen des Fremden gesehen, ein schnelles Sportcoupe, das von einer langen Fahrt verstaubt schien.
    Joe King bemerkte, daß auch er hin und wieder verstohlen gemustert wurde. Die Augen des Fremden waren typische Indianeraugen und Jägeraugen. Nur selten öffnete er sie ganz, und dann hatten sie einen eigenartigen, schwer ergründbaren Ausdruck.
    Die Besucher wurden heute, sofern sie beim Superintendent einmal eingelassen waren, schnell abgefertigt. Einer nach dem anderen kam zurück, kaum einer mit anderer Miene, als er hineingegangen war. Man hatte gelernt, sich abzufinden. Schon um neun Uhr dreißig wäre die zweite Gruppe der Liste 1, acht Uhr dreißig, an der Reihe gewesen, aber Miss Thomson schob ein: »Mister Okute, bitte!«
    Das war der Fremde. Er ging ohne irgend ein Zeichen der Befriedigung über den bevorzugten Einlaß mit der Sekretärin. Stonehorn beobachtete seinen Gang. Er hatte den langen, leichten Schritt des Prärie-Indianers und trat mit den Zehen zuerst auf. Wenige Minuten später erschien Miss Thomson abermals.
    »Mister King, bitte zu Mister Shaw.«
    Joe löste sich von der Wand, ging durch den langgestreckten Raum des Sekretariats und klopfte an der Tür links, allerdings nur, um sogleich einzutreten. Hinter dem wohlgeordneten Schreibtisch saß Nick Shaw, ihm gegenüber auf dem besten der Besucherstühle der fremde Indianer.
    Joe konnte nicht erraten, worüber gesprochen worden war, da alle Mienen ebenso sachlich wie undurchdringlich erschienen. Er blieb schräg rechts, einige Schritte zurück hinter dem Fremden stehen.
    »Mister King, bitte«, sagte Shaw, »zunächst das Dienstliche! Sie haben Ihren Wohnsitz nach wie vor auf der Reservation?«
    »Ja.«
    »Den Schein bitte über die Blutprobe.«
    Joe trat näher und überreichte ihn.
    Nick Shaw heftete die Bescheinigung in die dicke Akte ›Joe King‹ ein. »Sie wollen sich keiner ärztlichen Kontrolle unterziehen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Ich bin nicht verpflichtet, meine Gründe anzugeben.«
    »Hm. Wie Sie wollen. – Nun noch etwas anderes. Mister Okute aus Canada ist im Auftrag des Mister Collins hier, der Ihren Scheckhengst und die Stute ausfindig gemacht hat und mit erheblichen Kosten hierher zurücktransportieren ließ. Sie waren darüber unterrichtet, daß dies geschehen würde?«
    »Nein.«
    »Nicht? Aber Sie haben die Tiere in Empfang genommen?«
    »Ja.«
    »Sie werden also Futter- und Transportkosten übernehmen, denke ich, und sich über einen Finderlohn einigen. Allerdings habe ich gehört, daß Sie den Kaufpreis des Schecken noch nicht fertig abbezahlt haben. Wieviel Raten sind bezahlt und wie viele stehen aus?«
    »Drei Raten sind fristgemäß, zwei vorfristig abbezahlt. Fünf stehen noch aus.« Joe antwortete im Stehen. Der Stellvertreter des Superintendent hatte ihm noch keinen Stuhl angeboten.
    »Würden Sie den Schecken übereignen, Mister King? Dann könnten die Futterkosten und die allerdings unnützen Transportkosten sowie die restlichen Abzahlungsraten verrechnet werden, und ein Finderlohn wäre damit abgegolten. Mister Collins ist sogar bereit, alle Pferde zu übernehmen, nachdem Mister Okute noch den dunkelbraunen Hengst in seinem Auftrag geschätzt haben wird. Nutzen Sie diese Gelegenheit!«
    Shaw glaubte, einen vernünftigen und für King vorteilhaften Vorschlag gemacht zu haben und erwartete nichts als Kings ›o. k.‹.
    Joe aber war Indianer, ein Züchter und ein Reiter; er war mit Pferden aufgewachsen, und er hatte noch das alte magische Verhältnis zum Tier. Ein Pferd war ein Teil von ihm selbst.
    »Ich verzichte nicht auf die Tiere.« Der junge Indianer sprach knapp und verhalten; er bezwang sich in Gegenwart des fremden Dritten noch härter, als es ihm Shaw allein gegenüber erforderlich erschienen wäre. »Für die Futter- und Transportkosten kann der Dieb haftbar gemacht werden – und wieso Finderlohn für Diebesgut?«
    Shaw begann, eine solche Diskussion als Zeitverlust zu betrachten, erwiderte aber noch ruhig und, wie ihm selbst schien, durchaus sachlich.
    »Mister King, wir nehmen an, daß Ihnen die Tiere entlaufen

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