Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Enttäuschung, daß er seit fast zehn Jahren Stellvertreter geblieben und nie selbst Superintendent geworden war. Er setzte das moralische Stemmeisen von neuem an, ohne zu ahnen, daß hinter der verschlossenen Schweigsamkeit des Indianers eine Gefahr anwuchs.
    »Überwinden Sie sich endlich, King, und machen Sie Schluß mit Ihrer verfehlten Vergangenheit. Es bietet sich Ihnen noch eine unerwartete Chance.«
    Joe King schwieg.
    Der Fremde rührte sich nicht. Er hatte die Augen gesenkt und sah weder Shaw noch King an. Es blieb im Dunkeln, was er dachte. Aber seine Person und seine Haltung reizten die beiden, die mit Wort und Schweigen widereinander fochten, noch mehr auf.
    Nick Shaw hatte nochmals auf Antwort gewartet. Als sie wiederum nicht erfolgte, begann es in seinem Empfindungskessel zu sieden und der Dampf des überhitzten autoritativen Selbstbewußtseins zischte.
    »King, was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind! Wenn Sie nicht wirtschaften können, sorge ich dafür, daß Ihre Pferde versteigert werden, und wenn Sie sich nicht in unsere Ordnung fügen, sind Ihre Bewährungsbedingungen nicht mehr erfüllt, Sie gehen in das Gefängnis zurück!«
    Joe King schwieg. Er konnte ein bockendes Pferd mit Humor, einen Gegner mit Sarkasmus behandeln, verholzte Anmaßung des Vormunds aber erfüllte ihn mit einer stummen und drohenden Wut, die keinen Zugang mehr zum menschlichen Wort oder zum menschlichen Lächeln hatte. In den Augen des jungen Indianers leuchtete ein kurzes Licht auf. Dabei war er fahl. Er sah noch immer das Schwarze vor sich, aber die Konturen Shaws zeichneten sich darin ab. Mitten in übersteigerten und verwirrten Empfindungen funktionierten Joes auf den nächsten technischen Vorgang ausgerichtete Nervenstränge unabhängig wie eine Maschine. Er konnte über den Schreibtisch hinweg nicht schnell genug zum Stich kommen, also wollte er die Waffe werfen, und er wußte, daß er treffen würde. Es war die Sekunde, die auch über Joes eigenes Leben entschied.
    Der Fremde erhob sich.
    »Erlauben Sie, Mister Shaw, daß ich Ihnen anstelle von Mister King antworte.«
    Die Atmosphäre veränderte sich. Der Fremde war alt; mit seiner unhörbaren Bewegung und seinen leisen Worten kam ein Hauch und ein Geruch von windüberwehtem Gras, Leder und Pferden, das Singen von Pfeilen, das Dröhnen von Trommeln. Joe Stonehorn King nahm diese Luft und ihre Schwingungen in sich auf; sie waren auch ihm noch vertraut, obgleich er in Jeans vor einem Beamten stand, der ihn verhöhnt hatte. Nick Shaw wußte auch jetzt nicht, was in Wahrheit vorging, aber die Haltung des Fremden, die unablegbare Würde eines einstigen Häuptlings bezähmten ihn auf eine ihm selbst schwer erklärliche Weise.
    »Bitte.« Shaw war heiser, und in seinen Gedanken raschelte die Tonart des Fremden wie Wind in dürrem Laub. Der Stellvertreter des Superintendent haderte mit sich selbst. Warum hatte er sich mit Joe King, einem Schulabgänger aus der 7. Klasse, einem Kriminellen von dreiundzwanzig Jahren, überhaupt in eine Unterredung eingelassen und sich dadurch womöglich noch eine Blöße vor diesem fremden Canadier gegeben!
    »Mister Shaw«, sagte der alte Indianer schlicht, mit dem Ausdruck des freien Bürgers, der Unterwerfung nie gekannt und Haß verlernt hatte, »so, wie Sie gesprochen haben, kann Sie ein Indianer nicht verstehen. Sie werden auf diese Weise nie eine Antwort erhalten, jedenfalls nicht mit Worten. Ich bitte um ihr Einverständnis, daß ich mich mit Mister King selbst einige. Es handelt sich bei den Pferden um Privateigentum, nicht um Stammesbesitz oder Agenturspenden?«
    »Um Privateigentum, Mister Okute. Doch untersteht auch die private Wirtschaftsführung der Reservationsangehörigen unserer treuhänderischen Aufsicht.« Shaw sprach leise. Er hatte jetzt einen Blick Joes aufgefangen, einen Blick, der das Schweigen beredt werden ließ, und es beschlich Nick das Gefühl, daß seine Glieder in den Gelenken locker geworden seien wie die einer Puppe; sie schepperten.
     
    Okute zog sich zurück und ging zur Tür, Stonehorn kam mit. Das Stilett steckte wieder im Stiefelschaft. Die beiden Indianer verließen zusammen das Haus. Vor dem Haus hielten sie unwillkürlich den Schritt an.
    »Sie haben Ihren Wagen da, wie ich gehört habe«, sagte Okute, auch jetzt auf englisch. »Ich den meinen. Können wir zusammen zu Ihnen fahren?«
    »Mister Okute – «, die Stimme gehorchte Stonehorn noch nicht ganz, er räusperte sich, »haben Sie in

Weitere Kostenlose Bücher