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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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sind, weil sie fahrlässig verwahrt waren. Der Koppelzaun war nicht hoch genug, und er war nicht elektrisch geladen. Auf Grund der Sachlage, wie sie sich uns darstellt, raten wir Ihnen, wenigstens den Scheckhengst abzugeben. Was wollen Sie mit einem angeschlagenen und einem noch nicht abbezahlten Hengst und einer einzigen Stute, dazu auf einer kleinen Ranch mit schlechten Gras- und Wasserverhältnissen?!«
    Joe King antwortete darauf nicht mehr. Shaws Worte hatten in den Ohren des jungen Indianers geklungen wie der Hammer des Auktionators, Holz auf Holz, ohne Echo. Es entstand eine Pause. Nick Shaw begriff blitzartig, daß er sich jetzt wieder jenem indianischen Schweigen gegenübersehen würde, das er nie verstand und darum seit je haßte. Es erschien ihm nichts darin enthalten zu sein als eine hinterhältige Aufsässigkeit; er konnte die Natur dieses Schweigens nicht ergründen. Doch auch er bezwang sich noch und nahm Rücksicht auf den Dritten, der still und wie unbeteiligt auf seinem Stuhle saß, ein Stein mit unsichtbaren Kräften. Shaw war noch bereit, die Geduld der Verwaltung mit einem unvernünftigen Indianer zu demonstrieren.
    »Mister King, Sie finden sich nie mit dem Realen und Möglichen ab; aber wir alle müssen Kompromisse schließen, das bleibt keinem von uns erspart.« Nick Shaw erinnerte sich flüchtig seiner eigenen Jugendträume, die etwas anderes zum Inhalt gehabt hatten als einen Bürosessel in der Prärie; zumindest hatte der Sessel in einer anderen Gegend Platz finden sollen. Nick entschloß sich, noch einige Zeit und einige Worte aufzuwenden, bis auch dieser Indianer, der hier vor ihm stand, zu dem kommen würde, was Nick Shaw unter Einsicht in das Unvermeidliche zu verstehen gelernt hatte.
    »Geben Sie die Pferde weg, Mister King, züchten Sie Kleintiere, arbeiten Sie bei Booth als Cowboy oder in der Angelhakenfabrik.« Shaw unterbrach seine Ermahnung, ohne die erwartete Zustimmung zu erhalten. Sein dienstliches Selbstbewußtsein war durch Joes Schweigen verletzt, und er ging seinerseits zu einem verletzenden Ton über. »Leider haben Sie nicht die Schulbildung, King, die Ihnen den Weg zu einer höher bezahlten Tätigkeit öffnen könnte. Das haben Sie nun einmal versäumt.«
    Als Joe noch immer stumm blieb, schlug Shaws Stimmung wieder um; er begann Joes Schweigen als Verlegenheit zu deuten und sonnte sich in der Möglichkeit, als Beamter dem ihm unterstellten Reservations-Indianer Vorwürfe zu machen, ihn zurechtzuweisen.
    »Mister King, Sie gestatten, daß ich einmal in aller Offenheit und wie ein Vater zu Ihnen spreche – dem Alter nach könnten Sie mein Sohn sein –, also King, Sie verbohren und verbocken sich stets in einer falschen Richtung. Ihr Großvater und Ihr Vater haben Sie körperlich mißhandelt. Ihre Lehrer haben versucht, Ihren Ehrgeiz und Ihr Verantwortungsgefühl durch angebrachte Methoden zu wecken. Der Staat hat versucht, Sie in seinen Anstalten zu erziehen, der Superintendent und der Stammesrat haben Sie durch Entgegenkommen ermutigen wollen, nachdem Sie den Weg des Gangsters und Verbrechers gegangen waren – nun stolpern Sie in neue Schwierigkeiten hinein und wollen weiterhin das von Ihrer Frau verdiente Geld in Ihre Zuchtspekulationen hineinstecken. Machen Sie endlich Schluß mit Ihren hochfliegenden Plänen, liquidieren Sie und fangen Sie auf einem normalen Weg neu an. Also sagen Sie ja –!« Nick Shaw wartete einen Augenblick, und als kein Ton zwischen Joes zusammengepreßten Lippen hervorkam, befahl er: »Und wenn nicht, dann sagen Sie endlich überhaupt etwas!«
    Joe King empfand Shaws Worte wie ein Schabemesser, das ihm die Haut abziehen und alle Qual und Schande, die er je erlebt hatte, vor den Augen und Ohren eines Dritten wieder sichtbar machen wollte; die Erinnerungen störten seinen alten Haß auf. Doch schwieg er noch immer und zog seine Empfindungen so scharf in sich zurück, daß selbst seine Sehnerven ausschalteten und er anstelle von Shaw eine schwarze Wand vor sich zu haben glaubte. Mit einer schnellen und geübten Bewegung, die der fremde Indianer beobachten mochte, die Shaw aber entging, nahm Joe das Stilett aus dem Stiefelschaft und ließ es in den Ärmel gleiten.
    Nick Shaw aber begriff die Empfindungen des Indianers nicht. Sein Gehirn war auf institutionell gesicherte Überlegenheit und auf die Unterwerfung des Indianers programmiert, den zu verstehen nie jemand von ihm verlangt hatte. Seine dienstliche Macht entschädigte ihn für die

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