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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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dritter, und ich dachte noch: Jetzt wird Joe wieder was abkriegen – wenn Teacock die Hefte da liegen sieht.«
    »Sie können aber nicht da gelegen haben! Als wir die Klasse verließen, war alles in Ordnung, und ich schloß ab und brachte den Schlüssel in das Sekretariat. Beim Essen saß Joe an unserem Tisch. Als ich den Schlüssel holte und ihn Harold gab, kann Joe nicht in die Klasse gegangen sein und danach auch nicht, denn als ich zurückkam, saß er noch an unserem Tisch. Also was du da von den Heften erzählst, ist unmöglich.«
    »Ich weiß es aber ganz genau! Weil ich noch dachte, jetzt kriegt Joe wieder was ab, und er tat mir leid, weil Mister Teacock immer ungerecht gegen ihn gewesen ist. Und fast die ganze Klasse war gegen ihn, nur ein paar hielten zu ihm, und du warst wenigstens immer gerecht. Aber er tat mir leid, als ich die Hefte liegen sah, und ich schaute mich rasch um, ob ich ihn noch warnen könnte. Er kam hinter mir in die Klasse, aber am Schwanzende von unserem Gedränge tauchte auch schon Lehrer Teacock auf, und so konnte ich nichts mehr machen. Wir stürzten alle an unsere Plätze und standen still, ganz stramm, wie das bei Mister Teacock sein mußte. Aber auf dem Tisch von Joe lagen die Hefte, und ich schwitzte wohl mehr als er, weil Joe schon gewohnt war, daß Mister Teacock doch immer irgend etwas an ihm auszusetzen hatte. Ich wunderte mich nur, daß Mister Teacock nicht gleich losdonnerte… aber du müßtest die Hefte in dem Augenblick doch auch gesehen haben, Erika!«
    »O Himmel, ja, jetzt erinnere ich mich. Als wir alle still standen bei unseren Plätzen, da sah ich auch die Hefte liegen und dachte noch: O weh für Joe und auch für mich, weil ich als Klassenordnerin ja verantwortlich war, daß nichts herumlag.«
    »Aber Mister Teacock sagte erstaunlicherweise nichts.«
    »Nein, wir durften uns setzen. Lehrer Teacock setzte sich auch und machte die Schublade auf und schien zu suchen…«
    »Ja, er suchte, und ich dachte, er will das Klassenbuch herausholen.«
    »Tat er auch.«
    »Aber dann suchte er noch mal. Und dann schaute er wieder in die Klasse…«
    »… und richtete den Blick auf Joe! O Bob, wie gut weiß ich das noch.«
    »Und Joe wirtschaftete mit seinen Heften, die da nicht liegen sollten – und dann hatte er den Umschlag mit dem Geld in der Hand. Das weiß ich, Erika!«
    »Mister Teacock schalt Joe einen Dieb! Bob, ich höre es noch. Ich zitterte.«
    »Ja, dann wurde es furchtbar. Mister Teacock wurde beinahe blau, und Joe war grau wie Asche und sagte nur: ›Ich habe es nicht getan.‹ Als Mister Teacock noch weiter schalt, sagte er gar nichts mehr.«
    »Mister Teacock stürzte hin und riß den Umschlag mit dem Geld an sich und verlangte von Joe, er solle sich vor die ganze Klasse hinstellen als Dieb.«
    »Aber Joe ging nicht von seinem Platz, und als Mister Teacock ihn an der Schulter packte, stieß Joe ihn weg. Mister Teacock wurde jetzt auch bleich wie die Wand…«
    »O Bob, und ich mußte den Rektor rufen, und dann fing es noch einmal von vorn an!«
    »Joe ging endlich mit auf das Rektorat. Aber so, wie er aussah, als er aus der Klasse hinausgehen mußte, als ein Dieb, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Mir war angst.«
    »Mir auch, Bob.«
    »Nachmittags kam die Polizei und nahm ihn mit, weil er sich auch im Rektorzimmer noch widersetzt hatte. Als er hinausgeführt wurde, schrien einige: ›Dieb, Dieb!‹ Aber Harold schrie am lautesten und spuckte aus.«
    »Ja, Bob. Ich war krank am nächsten Tag.«
    Es trat eine Pause ein.
    »Nun habe ich immer noch nicht begriffen, wann Joe das Geld weggenommen hat«, sagte der Richter. »Und als er die Klasse betrat, tat er es mit euch zusammen, Erika und Bob, und Mister Teacock stand schon dahinter.«
    Bob und Erika schauten sich an.
    »Ja… aber…«
    »Das… ja wann…?«
    »Bitte, denkt doch einmal scharf nach. Wann kann es denn gewesen sein? Es müßte doch wohl…«
    »Nein«, Erika schüttelte den Kopf. »Zu Beginn der Mittagspause lagen die Hefte nicht da, das ist sicher. Nach der Mittagspause lagen sie da. Das ist nun auch sicher. Aber Joe saß an unserem Tisch im Speisesaal… darüber haben wir sogar in den folgenden Tagen noch gesprochen. Missis Holland selbst, die damals noch nicht Rektorin, sondern nur Lehrerin war, saß bei uns am Tisch wie jeden Tag. Joe ist also von dem Tisch im Schulspeisesaal nicht weggegangen, erst zum Schluß mit uns allen zusammen.«
    »Und wann…?« fragte der Richter wieder.
    »Ja…

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