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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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fortzusetzen.
     

Zeugen
     
    Angeregt von dem Gespräch, fragte Joe auf seinem Krankenlager, das er, einmal beschlossen, mit unzerreißbarer Geduld ertrug, an den nächsten Abenden weiter nach diesem und jenem aus dem Zirkel. Zwei der Teilnehmer kannte er noch aus der 7. Klasse. Das waren eben Bob, der zu Gast gewesen war, und die Internatsbetreuerin mit College-Abschluß, Erika. Mit ihnen unterhielt er sich.
    »Die beiden können sich tatsächlich noch an einiges erinnern, was für mich wichtig ist«, sagte er zu Queenie.
    Er entschloß sich, ein Wiederaufnahmeverfahren in Sachen ›Diebstahl‹ zu beantragen.
    Da Mrs. Holland und Frank Morning Star drängten und das Stammesgericht nur mit wenigen anderen Fällen beschäftigt war, wurde der Schriftsatz, den Joe King einreichte, von dem Gerichtspräsidenten mit Ed Crazy Eagle rasch beraten.
    Der Schriftsatz war kurz, bündig und juristisch unangreifbar. Joe King hatte ihn eigenhändig geschrieben ohne jeglichen Rechtschreibfehler, und hieran besaß Queenie nur ein mittelbares Verdienst. Joe hatte die Grammatik und das Wörterbuch benutzt, die sie ihm verschafft hatte.
    Das Gericht wurde auf Formfehler im Verfahren, auf neu bekannt gewordene Tatbestände und nicht vernommene Zeugen hingewiesen.
    Das Wiederaufnahmeverfahren fand in dem kleinen Gerichtssaal statt, der sich in dem einstöckigen Holzgebäude des Stammesgerichts befand und außer dem Gericht selbst etwa dreißig Personen Raum gab. Der Gerichtspräsident und Crazy Eagle hatten drei Beisitzer, Jimmy White Horse, Frank Morning Star und einen alten Mann, der persönliches Ansehen genoß, Herman Hawk. Bill Temple führte das Protokoll. Als Zeugen waren Theodore Teacock, Elizabeth Holland, Harold Booth, die ehemalige Rektoratssekretärin Erika und Bob sowie vier weitere Schüler der damaligen Klasse 7 vorgeladen. Der Superintendent hatte Kate Carson als Beobachter entsandt. Es hatte sich herumgesprochen, daß über den Diebstahl des Joe King noch einmal verhandelt werden sollte, und das Interesse oder auch die Neugier waren so groß, daß nicht alle, die zuhören wollten, Platz fanden. Wer abgewiesen wurde, stellte sich geduldig vor dem Gebäude auf.
    Schon ehe der Gerichtspräsident eröffnete, herrschte in dem kleinen Saal eine eigentümlich gespaltene Stimmung. Für den alten Präsidenten selbst war diese Verhandlung eine Art von Gericht. Vor sieben Jahren hatte er das Urteil gefällt, das jetzt mit guten Gründen angegriffen wurde, und zuvor hatte er das Verfahren durchgeführt, in dem Fehler unterlaufen waren. Vor sieben Jahren hatte er einen jungen Menschen zum Verbrecher gestempelt und damit zum Verbrecher gemacht. Die tiefen Falten im Gesicht des Alten lagen heute nicht tiefer, aber sie zogen sich noch weiter herab bis über die Mundwinkel. Seine Wangen wirkten dadurch schlaff wie die Schultern, die sich gesenkt hatten.
    Theodore Teacock, wieder Zeuge wie einst vor sieben Jahren, hatte reichlich Aspirin eingenommen, um seine Kopfschmerzen zu vertreiben. Geographielehrer Ball, der unter den Zuhörern saß, hatte seinem Freunde Teacock außerdem Nervenberuhigungsmittel verschafft, aber jetzt, als der Verhandlungstermin unmittelbar bevorstand, wußte Teacock schon, daß das lästige Gesichtszucken wieder einsetzen wollte. Teacock sah niemanden an. Diese Haltung war überhaupt charakteristisch für einige Zeugen. Mrs. Holland starrte geradeaus mit dem strengsten Mienenspiel, das je in ihrem strengen Gesicht gesehen worden war. Harolds Lippen arbeiteten unaufhörlich, zur Schnute verdickt oder zwischen die Zähne eingezogen. Auch die Schüler oder ehemaligen Schüler der Schule, die damals nicht vernommen worden waren, schienen nicht in unbefangener Stimmung zu sein. Sie alle erlebten zum erstenmal eine Gerichtsverhandlung. Es ging um einen ehemaligen Mitschüler und zugleich um einen lange Jahre hindurch gefürchteten Lehrer, der noch im Amt war.
    Queenie unterdrückte ihre Aufregung, aber sie konnte nicht verhindern, daß ihre Wangen glühten. Joe King erschien gleichgültiger als die anderen. Er hatte seine Empfindungen abgeschaltet, wie er es mit seiner Taschenlampe zu tun pflegte, wenn sie im Augenblick nicht gebraucht wurde. Doch war die Batterie nicht erschöpft.
    Der Gerichtspräsident eröffnete, gab den Gegenstand der Verhandlung bekannt und ermahnte die Zeugen zur Wahrheitsliebe. Vereidigt wurden Mrs. Holland, die Sekretärin, und Erika, die Internatsbetreuerin. Theodore Teacock wurde nicht

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