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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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überhaupt dumm bin und bleibe. Wer heißt uns denn tapfer sein?«
    »Unsere Väter.«
    »In den zehn Geboten steht es nicht. Also wir selbst.«
    »Unser Gewissen.«
    »Die Furcht, daß ›die Leute‹ uns feige schelten.«
    »Auch wenn sie es selbst sind?«
    »Die Liebe zu dem, was wir verteidigen wollen.«
    »Reichliche Auswahl, wie im Supermarkt! Das letzte Angebot gefällt mir am besten«, ironisierte Joe über seinen Ernst hinweg.
    »Wenn wir aber so weitermachen, sitzen wir morgen früh auch noch beisammen. Darf ich eine Frage stellen, Missis King?«
    »Bitte, Mister King!«
    »Joe, bitte; ich bin nur Schüler. Wie ist das mit dem Dreieck? Ist es ein Tipi?«
    »Ja!« rief Bob sofort.
    Stonehorn ließ sich das Stirnband geben, das Untschida für Tashina gearbeitet hatte, das Band mit dem Dreiecksmuster in Gelb, Rot und Blau. »Schöne Tipi! Kann man darin wohnen?«
    »Nein«, gestand Bob.
    »Aber in dem unseren hier wohnen wir.«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil es aus Holz und Büffelhaut gebaut ist.«
    »Und die andern hier?«
    »Sind mit gefärbten Stachelschweinsborsten auf Leder gestickt.«
    »Dennoch nennst du sie alle Tipi. Wieso?«
    »Weil die drei Ecken das Zeichen für ›Tipi‹ sind.«
    »Ah. Für ganz verschiedene wirkliche Tipi gibt es ein Zeichen, das gleich ist: die Form mit den drei Ecken. Eine anschauliche Abstraktion. Sie war unseren Vorfahren vertraut. Die Watschitschun verlieren das Verständnis dafür.«
    »Ja!« Queenie begann zu bezweifeln, worauf Joe hinauswollte. »Unsere Vorfahren waren schon fähig, abstrakt zu denken. In ihrem eigenen Lebenskreis. Davon müssen wir bei unseren Schülern ausgehen.«
    Bob überlegte. »Gut«, gab er schließlich zu, und wenn er etwas zugab, hatte er es auch verstanden.
    »Und was ist nun das gleiche bei all den Menschen, die wir mit den Worten ›one, folks oder people‹ meinen?«
    »Daß sie Menschen sind.«
    »Daß sie feige sind.«
    »Das ist nicht wahr«, protestierte Queenie. »Das ist nur ein Spezialfall.«
    »Ein wahrer Spezialfall.«
    »Wir wollen aber auf das Allgemeine kommen.«
    »Sprechen wir von Menschen überhaupt, wenn wir ›Leute‹ oder ›man‹ sagen?«
    »Ich glaube nicht.« Die junge Lehrerin Queenie mußte selbst nachdenken. »Dann sagen wir ›die Menschheit‹ oder ›die Menschen‹. Man oder Leute, das ist immer etwas Unbestimmtes und doch schon Ausgewähltes und auf irgendeine Weise Umgrenztes.«
    »Ein Beispiel!« bat Yvonne.
    »Rodeo-Zuschauer!« rief Bob.
    »Zeltgäste.«
    »Beat-fans«, sagte Yvonne selbst.
    »Reservationsbewohner«, gab Queenie zur bunten Platte.
    »Gangster«, testete Joe, ohne rot zu werden.
    »Gangster nicht«, widersprach Okute. »Sie sind zu fest organisiert.«
    »Also nicht organisiert.«
    »Dann werden die Reservationsbewohner auch fraglich.«
    »Sind nur durch die Weißen organisiert; sie sind wie unbestimmtes Gold, auf das andere einen Stempel drücken. Den Stempel kann man wieder löschen, wenn auch nur in hoher Glut.«
    »Sag lieber, Kälber mit Brandstempel, den löscht ›one‹ nicht mehr.«
    »Stop… was bedeutet ›one‹?«
    »Menschen, wie wir sie uns nicht wünschen.«
    »Warum soll ›one‹ immer etwas Schlechtes sein? Vielleicht sind es auch Menschen, die uns unverhofft helfen.«
    »Was ist das, schlecht? Für die Watschitschun sind es wir ›Red Indians‹, wir Roten.«
    »Doch nicht immer und nicht nur!«
    »Also ›Leute‹ und ›man‹, scheint mir, das sind Menschen, die an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten verschiedene Merkmale – ja, nun – entweder wirklich haben oder von uns aufgedrückt bekommen. Es ist aber eine augenblickliche oder vorübergehende Gruppierung ohne feste, jedenfalls ohne für uns erkennbare Tradition und Organisation.«
    »Schwierig«, meinte Yvonne.
    »Aber wichtig in unserem täglichen Leben. Es ist eine Erfindung der Watschitschun, mit der wir nun einmal rechnen müssen, denn wir vertreiben die Weißen nie mehr aus unserem Land Amerika. Bei unseren Vorfahren gab es ›man‹ und ›Leute‹ nicht, da wußten alle, wie sie mit jedem dran waren. Sagte ich schon. Aber heute kann sogar eine Schulklasse von Indianerkindern ein ›one‹ werden, unbestimmt und wechselnd in dem, was sie fühlt und denkt, im Unterschied zu den Knaben- und Mädchenbünden, wie wir sie früher einmal hatten.«
    »Jetzt hast du gut gesprochen, jetzt verstehe ich dich, Joe.« Yvonne machte sich einige Notizen.
    Es wurde beschlossen, die Diskussion ein anderes Mal

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