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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Abwesenheit auf meinen Tisch gelegt wurden, mußten nicht nur aus der Schublade, sondern aus der verschlossenen Schublade herausgenommen werden. In der geöffneten Schublade steckte noch eine abgebrochene Messerspitze. Ich habe sie damals, während Mister Teacock mich einen Dieb schalt, aus dem Holz entfernt, mit Hilfe eines kümmerlichen Messers, das ich besaß. Vielleicht erinnert sich Mister Teacock noch, daß er mir damals meine Nebenbeschäftigung und die daraus scheinbar entstehende Unaufmerksamkeit für seine Scheltworte verwies.«
    Teacock bestätigte.
    »Die abgebrochene Spitze existiert aber nicht mehr, Mister King?« fragte Ed.
    »Doch. Ich habe sie mit sehr großer Mühe durch alle körperlichen Untersuchungen gerettet, zeitweilig im Mund oder unter der Haut. Ich dachte immer daran, daß sie einmal mein einziges Beweismittel für meine Unschuld sein könnte.« Joe holte etwas aus seiner Brieftasche. »Hier ist sie.« Durch den Saal gingen größere Wellen der Erregung, ein nur noch mühsam unterdrücktes Murmeln.
    Ed Crazy Eagle verließ sich auf sein Tastgefühl, um die abgebrochene Spitze mit der Bruchstelle der Mittelklinge des Taschenmessers von Booth zusammenzupassen. »Stimmt«, sagte er endlich. »Eine genauere Untersuchung müßte von einem Fachmann vorgenommen werden, zum Beispiel hinsichtlich der Übereinstimmung des Materials. Ich empfehle Ihnen aber, Mister Booth, sofort Stellung zu nehmen.«
    Alle Augen richteten sich auf Harold. Er war überrascht, bedrängt, eingekreist. Sein Denkvermögen setzte für einige Augenblicke aus. Da öffnete der alte Gerichtspräsident zum erstenmal während der Verhandlung den Mund. »Gestehen Sie endlich!« schrie er Harold an.
    Harold Booth hatte ein verzweifeltes Gefühl, als ob ihm der Boden unter den Füßen weiche und seine Füße im Ungewissen schaukelten.
    »Na ja.«
    »Was heißt ›Na ja‹! Sie gestehen also!«
    »Na ja, die Hefte – um Joe zu ärgern – war nur ein dummer Spaß.«
    »Erlauben Sie sich nicht dumme Späße mit uns, Booth! Gestehen Sie, daß Sie den Umschlag unter die Hefte gelegt haben! Die Indizien genügen… aber es wäre besser für Sie, jetzt offen zuzugeben.«
    »Na ja.« Harold zuckte mit der linken Achsel und legte den Kopf zur Seite.
    »Wir nehmen zu Protokoll, daß Sie gestehen, die verschlossene Schublade des Joe King geöffnet, die Hefte herausgenommen und auf den Tisch gelegt zu haben und daß Sie den Umschlag mit dem Geld von Mister Teacock dazwischengeschoben haben! Wir nehmen das zu Protokoll, Mister Booth.«
    »Na ja.«
    »Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?«
    »Na ja, es war nicht so böse gemeint. Ich wollte nur – Joe mal auf die Probe stellen, ob er das Geld verschwinden läßt oder ob er es abliefert.«
    »Hatte Mister Teacock Sie beauftragt, so zu verfahren?«
    Teacock fuhr auf, aber er hatte nicht das Wort.
    »So direkt nicht«, sagte Booth. »Aber ich konnte mir denken, daß es in Mister Teacocks Sinne sein würde.«
    »Wieso konnten Sie sich das denken?« Der alte Gerichtspräsident hatte die Verhandlungsführung an sich gerissen.
    »Es hatte einmal eine Diskussion stattgefunden in der 12. Klasse gleich nach den Ferien. Wir sprachen darüber, wie man Menschen kennenlernen könne und wie man sie auf die Probe stellen müsse. Das war am Montag nach der Sonntagspredigt in der Kirche. Wir sprachen mit Mister Teacock darüber, ob nur der Teufel die Menschen in Versuchung führe und ob das nur böse oder ob es auch Gottes Wille sei, um die Menschen zu erproben und zu festigen, und warum wir eigentlich beten ›und führe uns nicht in Versuchung‹ – daß wir also doch Angst haben vor den Proben. Und ob wir ein Recht haben, unsere Mitmenschen zu prüfen. Darüber sprachen wir, und Mister Teacock vertrat die Meinung, daß es notwendig werden könne, einen Menschen bewußt zu erproben, um ihn kennenzulernen, und daß der Betreffende ja bestehen könne, wenn er dazu fähig sei. Sonst sei er eben enttarn, und dies diene dem Guten. Er sprach dann von einem heimtückischen Schüler, den man nie so fassen könne, daß er von der Schule verwiesen werde, was er eigentlich verdient habe – und wir alle dachten dabei an Joe King. Ja.«
    Ed Crazy Eagle nahm wieder das Wort. »Mister Teacock, was haben Sie dazu zu sagen?«
    Teacocks Gesicht zuckte. »Die Diskussion hat stattgefunden. Aber es konnte wohl niemand annehmen, daß ich empfehle, einen heimtückischen Menschen durch eine heimtückische Tat zu prüfen. Das hieße

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