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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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darauf eingestellt. Des Abends saßen Joe und Queenie meist ein oder zwei Stunden bei ihm am Feuer. Dann knisterten die Zweige in der Glut, die Schatten huschten, und irgendein Braten duftete.
    Es war Sonntag und noch sehr früh am Abend, als sie mit Joe vom Zelt schon wieder zurück in das Holzhaus gehen wollte. Die Sonne war noch nicht unter den Horizont gesunken. Die beiden jungen Menschen gingen langsam. Queenie schaute ringsum. Die eisige Einsamkeit, der Wind, der zwischen seinem stillen Wehen hin und wieder auftauchte, die Felsen unter dem Schimmer der niedergehenden Wintersonne nahmen ihr Empfinden für Menschen und Landschaft gefangen und umzauberten sie mit Unwirklichem. Drüben auf dem Friedhof stand eine Frau an einem Grab, und da Queenie selbst so oft die Toten besucht und in Gedanken auf diesem Stück Prärieerde gesessen hatte, wußte sie sogleich, zu welchem Toten diese Frau, die Mary Booth hieß, gekommen war. Zu Harold Booth.
    Queenie stützte sich fester auf Joes Arm und ging mit ihm zusammen in die Holzhütte. Joe schaltete das Licht an, alle Gegenstände standen hell und sauber mit klaren Konturen im Raum, aber Queenie sah hinter dem allen den Toten, der in seinem Blut gelegen hatte mit verzerrten Mienen, mit gekrampften Fäusten, sterbend, nachdem er sie gewürgt hatte. Sie schauerte so heftig zusammen, daß Stonehorn es spürte. Er glaubte, daß es ihr draußen zu kalt gewesen sein könne, und wollte sie sogleich in den warmen Decken wissen, legte auch noch Holz im Ofen auf. Aber Queenie wies alle Fürsorge ab, war gezwungen ruhig, ja heiter und legte sich erst zu Bett, nachdem sie noch eine kleine Handarbeit gemacht hatte.
    An einem der nächsten Wochenendtagen wollte sie nach New City zu Elk fahren, und da Joe die Reservation nicht verlassen durfte, fuhr sie allein. Stonehorn brachte sie noch an den Wagen, aber er fragte nicht nach ihrem Vorhaben, auch nicht mit den Augen, und sie schwieg und wollte erst dann alles vor ihm ausbreiten, wenn sie mit sich selbst fertig war.
    Das Land lag noch in der Morgendämmerung, als Queenie startete. Sie hatte den ganzen Tag vor sich. Bei den Schneeverhältnissen mußte sie vorsichtig steuern und konnte nicht auf volle Geschwindigkeit gehen. Sie kam aber noch vor Mittag in der Vorortsiedlung an und fand Elk und seine Frau zu Hause. Die Kinder waren beim Nachbarn zum Spielen. Queenie hatte Essen mitgebracht, was in dem Haus dieser armen Leute sehr willkommen war. Wasser hatten Elk und seine Frau in ihrem alten Wagen schon für drei Tage herbeitransportiert. Es wurde Queenie wieder klar, welche Sorgen sie nun nicht mehr hatte. Galten für sie jetzt auch andere Gesetze? Sie dachte zurück an ihre eigenen Worte, die sie einmal zu Crazy Eagle gesprochen hatte.
    Das Gespräch wollte nicht in Gang kommen, da Queenie nicht wußte, wie sie ihr Anliegen vorbringen könne, Elk aber so wenig davon ahnte, daß es ihm nicht möglich war zu helfen. Es vergingen zwei Stunden. Die Kinder wurden gerufen; man aß miteinander; es gab Geplauder mit Freundlichkeit, aber ohne rechtes Ziel. Schließlich faßte sich Queenie ein Herz und sagte:
    »Elk, ich möchte dich als Priester sprechen.«
    Da ging die Frau hinaus, nahm auch die Kinder mit, und Queenie saß allein vor Elk.
    »Du mußt Geduld mit mir haben, Elk, ich kann es nicht so rasch erklären, wie ich in der Schule eine Antwort gebe oder eine Frage stelle. Es ist etwas, was in den Schulkopf nicht hineingeht.«
    »Fang an, Queenie.«
    »Wenn unsere Vorfahren einen Feind getötet hatten, nahmen sie seinen Skalp als Siegeszeichen. Okute trägt noch einen Skalp mit sich, den er niemals aus der Hand gibt. Es ist der Skalp des Mannes, der Okutes Vater ermordet hat. Aber um die Skalpe mußte getanzt werden, denn der Geist der Erschlagenen lebte und webte Rache. Er mußte versöhnt werden. Weißt du das?«
    »Ich weiß es.«
    »Harold Booth ist nicht versöhnt.«
    »Du bist freigesprochen, Queenie.«
    »Aber sie haben nicht daran gedacht, daß er noch nicht versöhnt ist.«
    Elk dachte nach. »Es ist richtig, was du sagst, und doch ist es nicht richtig. Unsere Väter haben das Kriegsbeil aus der Erde geholt und miteinander gekämpft. Tapfere, aufrichtige Männer haben miteinander gekämpft, und die Geister der Erschlagenen sollten versöhnt werden. Aber unsere Väter haben nicht die Geister von Mördern versöhnen wollen, denn gegen die Wölfe sind sie selbst unversöhnlich geblieben.«
    »Gab es Mörder unter ihnen?«
    »Ja. Es gab

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