Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Pistole in den Wiesenboden zwischen Goodman juniors Füße.
    Der junge Goodman hatte durch seinen Angriff, der das Ziel nicht fand, das Gleichgewicht halb verloren und wollte nun, während es unter ihm krachte und knallte, hochspringen. Er hob das eine und das andere Bein, taumelte betrunken und hopste zu dem Pistolenrhythmus, den Okute seelenruhig und zielsicher fortsetzte, immer in kurzem, aber genügendem Abstand von dem unfreiwilligen Tänzer. Die zweite Pistole war bereits in Aktion. Die erste warf Okute Stonehorn zu mit der unausgesprochenen Bitte, nachzuladen. Joe besorgte das; er wußte, wo Okute im Zelt seine Reservemunition verwahrte. Als Joe mit der nachgeladenen Pistole sofort wieder zur Stelle war, kam er gerade recht; Okute tauschte die zweite abgeschossene für die geladene ein. Die Pistolenschüsse waren nicht mehr das einzige Geräusch auf der Wiese. Der Pistolentanz des betrunkenen Burschen hatte die Zuschauer zum Lachen gebracht, gleich, ob Mann, Frau oder Kind, alt oder jung. Die Lachsalven begleiteten das Krachen der Schüsse, während Goodman junior nicht einmal Zeit zum Fluchen blieb. Der Vater stierte geifernd und fassungslos.
    Einige energische Frauen luden unterdessen Kinder und Decken schon in die Wagen ein, um die Abfahrt vorzubereiten. Die übrigen Trinker hatten alle ihre Flaschen achtlos beiseite gestellt, um das unerwartete Schauspiel zu genießen. Stonehorn nutzte den Augenblick und sammelte die Flaschen, goß sie aus und füllte sie mit Coca-Cola nach. So verteilte er sie rasch bei den Wagen der Eigentümer.
    Okute hatte inzwischen das Schießen eingestellt, denn der betrunkene junge Goodman lag erschöpft auf der Wiese. Joe packte den Burschen an, überwand seinen wiedererwachenden Widerstand nicht eben sanft, schleppte ihn zu dem Wagen des alten Goodman und verstaute ihn dort. Den übrigen Trinkern kam nun zum Bewußtsein, daß ihre Flaschen verschwunden waren, aber da sie sie in den Wagen liegen sahen, machten sie sich schnell daran einzusteigen.
    Okute gab noch einen Schuß in die Luft ab, dann setzte sich die ganze Wagenkolonne in Bewegung, den Furchenweg abwärts. Die Frauen und Kinder lachten noch immer vor sich hin. Die Männer grienten halb aus Vergnügen, halb aus Ärger über gemindertes Ansehen, auf alle Fälle angesichts von Okute und Joe lieber friedlich als aufsässig. Sobald der letzte Wagen verschwunden war, atmeten die drei beim Hause King auf.
    Sie fanden sich am Zeltfeuer zusammen. Das Essen schmeckte nur halb.
    Okute zog eine scharfe Grimasse. »Schande, wie wir miteinander umgehen müssen. Nick Shaw hätte seine Freude gehabt.«
    »Die Weißen saufen auch Brandy wie ein Loch das Wasser.«
    »Zu unserer alten Lebensweise gehört er nicht.«
    »Würdest du ihn verbieten, Okute?«
    »Nein. Du siehst die Früchte des Verbots. Aber ich würde an das denken, was sie Kampf ohne Waffen nennen.«
    »Wer – sie?«
    »Einige, die wissen, was sie wollen. Arbeit brauchen wir, Freiheit und Vertrauen – unsere eigene Meinung, unseren eigenen Lebensweg.«
    Joe schaute vor sich hin. Er wollte nicht sagen, was er dachte, aber Okute erriet es leicht. »Du meinst, daß ich selbst zu denen gehöre, die die Waffen auch heute noch nicht verschmähen. Als ich ein Kind war, konnten wir zehntausend Krieger in den Kampf schicken; als ich ein Mann wurde, führte ich dreißig zur Flucht über den Missouri; nun bin ich ein Greis, und du und ich, wir können unsere Waffen nur noch als einzelne gebrauchen. Aber um als Volk zu bestehen, müssen wir weiter nach neuen Wegen suchen.«
    »Was meinst du mit deinen Worten?«
    »Mit kleinen Dingen anfangen, bis die großen wieder auf uns zukommen. Ich glaube, es währt nun nicht mehr lange. Einstweilen wirst du die Sportgruppe aufziehen müssen, Joe.«
    »Sie sehen in mir immer noch den Gangster. Wenn ich etwas organisiere, gibt es Ärger.«
    »Scheust du ihn?«
    »Es hat mir gereicht, heute.« Was die volle Bedeutung dieser Worte war, konnte im Augenblick noch keiner erkennen.
    Am nächsten Morgen war Joe aber früher als Queenie und Okute unterwegs und erreichte mit seinem Cabriolet das Wohnhaus Frank Morning Stars vor Dienstbeginn. Frau Sylvia Morning Star war unwillig, als der frühe Besucher klingelte, denn sie hatte eben die Gummibadewanne für sich und die Kinder eingefüllt. Aber Frank hatte Joes Wagen erkannt und öffnete. Allerdings blieb er im Türrahmen stehen. Joe fand nicht den rechten Anfang.
    »Was gibt’s denn bei Sonnenaufgang?«

Weitere Kostenlose Bücher