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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hatte.
    Sie schaltete das Licht aus, um sich selbst zu zwingen, im Dunkeln in diesem Haus allein zu sein, legte sich auf den Rücken und die Hände auf den Leib, und sie spürte eine Bewegung unter dem Herzen. Ein kleiner Stonehorn wehrte sich wohl gegen die Enge. Das machte sie ruhiger, und gegen Mitternacht schlummerte sie ein.
    Am nächsten Tag fuhr sie mit dem Wagen zur Schule, ehe Joe etwas erklären konnte, daß er sie nicht begleiten würde. Abends ging sie zu Fuß auf die Booth-Ranch zu Mary, die ihre Schweine gefüttert hatte und eben die leeren Eimer in den Händen hielt, als sie Queenie kommen sah. Mary beeilte sich nicht und zögerte nicht, reinigte die Eimer, brachte sie an ihren Platz und kam dann zu Queenie herbei. »Was gibt’s?« Queenie machte eine unsichere Bewegung.
    »Also komm herein.«
    Queenie nahm an und ging mit Mary in das leere, verschneite Haus. Die Eltern Booth hatten die meisten Möbel mitgenommen. Mary besaß nur die Couch, auf der im Wohnzimmer meist ihr Platz gewesen war, einen Tisch, zwei Stühle und einen Schrank. Queenie nahm auf einem Stuhl Platz, Mary auf dem anderen. Queenie – Tashina gab sich selbst einen Stoß. Es schien ihr leichter, geradewegs zu sprechen als mit Umwegen und Floskeln.
    »Mary, ich kann nicht damit fertig werden, daß ich deinen Bruder töten mußte. Ich werde nicht damit fertig. Er war auch nicht damit fertig, als er starb. Er hat mich gehaßt bis zum letzten Atemzug. Deshalb wollte er mich erwürgen. Aber es muß doch ein Ende werden, denn so kann ich nicht leben.«
    Mary schaute Queenie an. »Du bist freigesprochen.«
    »Diese Antwort, Mary, kann ich mir selbst geben. Er war auch nicht verwandt mit mir.«
    »Nein, es war kein Vatermord, wie er in eurem Hause schon geschehen ist.«
    Queenie wartete ein paar Sekunden, ehe sie weitersprach. »Stonehorns Mutter ist auch in Not gewesen, als sie es tat. In Not um ihr Kind. Das ist noch ärger. Aber nun Harold. Ich spreche jetzt zum erstenmal wieder den Namen aus. Mary, was soll ich tun?«
    Mary preßte eine Hand mit der anderen. »Tun? Es ist zu spät, Queenie. Ich dachte immer, wenn du nicht Joe, sondern Harold geliebt hättest, wäre vielleicht alles anders gekommen. Joe hast du herausgerissen, er steckte auch tief genug drin. Aber Harold sank immer weiter. Ich habe also gedacht, wenn sie Harold hätte lieben können, wäre alles anders gekommen. Das habe ich lange Zeit gedacht.« Mary machte eine Pause. »Aber nun denke ich nicht mehr so. Nach dem letzten, nach der Sache mit den Pferden, denke ich nicht mehr so. Harold, weißt du, hat immer gern gelogen. Schon als Kind. Ich hatte es dann auszubaden, wenn er den Vater und die Mutter angelogen hat, und ich war immer an allem schuld. Deshalb habe ich ihn manchmal gehaßt. Dann war er wieder gut zu mir, und ich habe ihm geglaubt. Es ging hin und her. Aber endlich… er ist ein böser Mensch geworden. Gott sei ihm gnädig.«
    »Was kann ich tun, Mary?«
    »Einen Lügner versöhnst du nicht, auch nicht im Grabe, Queenie. Ich bin hingegangen, wo nun die Gräser über dem Toten wachsen. Ich dachte noch einmal: Wenn Queenie ihn geliebt hätte, vielleicht hätte die es geschafft, daß es nicht so furchtbar enden mußte.«
    »Ich konnte ihn nicht lieben.«
    »Nein, du hast immer Joe gern gehabt, schon als Kind. Obwohl du manchmal auch Harold freundlich angeschaut hast, als ob du ihm den Kopf verdrehen wolltest. Vielleicht war es dir nur darum zu tun, deine Macht auszuprobieren oder Joe eifersüchtig zu machen. Vielleicht hat dir Harold auch einmal leid getan, und du wolltest ihn auf irgendeine Weise abfinden. Du warst schon sehr früh ein Mädchen, das die Burschen anzog, ob du nun wolltest oder nicht, aber du wolltest es auch. Schon mit elf und zwölf Jahren.«
    »Es ist wahr, Mary, und es war wohl böse, obgleich ich es nur für ein Spiel hielt. Aber was kann ich jetzt tun?«
    »Was für eine merkwürdige Frage, Queenie. Was sollst du denn nun tun! Lügner ist Lügner, und tot ist tot. Da gibt es keine Taten und keine Worte mehr.«
    »Aber sein Gesicht in der Erde unter den Gräsern und das Blut in unserem Haus.«
    Mary lächelte schwach und ernst. »Queenie, du bist eine Künstlerin, die haben immer merkwürdige Träume, sonst wären sie nicht, was sie sind. Du magst recht haben, er frißt an den Wurzeln. Aber mich stört das nicht. Er hat gelogen, er hat gestohlen, er hat Joe verleumdet in der Hoffnung, daß sie ihn zu Tode schinden, und endlich wollte er dich

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