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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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durch die Stadt geritten, im gestickten Rock, in den gestickten Leggings, den gestickten Mokassins, auf Pferden mit gesticktem Zaumzeug, die Adlerfederkrone auf dem Kopf, und sie hatten sich fotografieren lassen, wenn jemand Lust dazu zeigte, was häufig der Fall war, besonders wenn der Träger der schönen weißgegerbten Lederkleidung so aussah, wie sich die weißen Männer einen Häuptling vorstellten. Manche der Festgekleideten hatten sogar gestickte Stulpenhandschuhe getragen, was Okute eine seiner wesentlichen Grimassen entlockte, als er es erfuhr.
     
    »Joe hätte einen schönen Indianer machen können«, sagte die Hausfrau des Zeltes zu Queenie, »warum seid ihr nicht zur Parade gekommen! Habt ihr keine alte Kleidung mehr daheim?«
    »O doch, den Rock des Großvaters, aber Joe hat ihn noch nie angezogen. Und die Adlerfederkrone des Großvaters, aber Joe hat sie noch nie auf den Kopf genommen.«
    »Schade.«
    Queenie dachte daran, daß dieser alte Mann, von dessen traditioneller Kleidung sie eben sprach, von Stonehorns Mutter Winonah King in Notwehr getötet worden war und daß Stonehorn selbst als Kind die Mißhandlung durch den betrunkenen Alten nur eben noch überlebt hatte. Aber vielleicht war der Großvater, wenn er nüchtern war, ein ebenso sorglicher, freundlicher und zugleich stolzer Mann gewesen wie Old King.
    »Schade«, sagte die Hausfrau und meinte den Federschmuck.
    »Schade um ihn«, antwortete Queenie und dachte mit Trauer an den Menschen.
    Joe King war also der einzige Indianer, der den hohen Einsatz geleistet hatte und sich auf Grund seines Könnens dem Wettbewerb mit den weißen Cowboys auch bis zur letzten Runde stellte.
    Das hatte sich im Nu im ganzen Indianerdorf herumgesprochen, und die Bewohner waren alle entschlossen, nachmittags zur Siegerausscheidung im Broncreiten zu gehen. Es erschienen noch weitere Gäste in den Zelten, denn viele Indianer kamen für einen oder zwei Tage zum Rodeo. Sie fuhren von den näher gelegenen Reservationen mit ihren alten billigen Autos zu den Verwandten, in deren Tipi sie wohnen und schlafen konnten. Die Zelte waren groß genug für viele Menschen; wohl zwanzig Personen oder mehr hatten darin Platz.
    Joe hatte Okute gebeten, von Zeit zu Zeit nach dem Schecken zu sehen. Er selbst schlenderte jetzt auf dem Gelände umher und beobachtete. Einer der Teilnehmer am Wettbewerb der bucking horses erkannte ihn und zog ihn zu einer kleinen Gruppe von Cowboys, die sich zusammenfanden.
    Sie sprachen sachlich und kollegial über ihre Aussichten im letzten Treffen.
    Zwei waren alte Rodeo-Sieger, der eine davon hatte sich im Vorjahr den ersten Preis geholt, war aber überzeugt, daß er in diesem Jahr höchstens den zweiten Platz einnehmen würde.
    »Zu alt«, sagte er, »ich reite seit sechs Jahren. Im Herbst mache ich Schluß.« Er musterte Joe, die lange Gestalt mit den schmalen Hüften. Unter den sonnverbrannten Männern fiel Joe als Indianer kaum auf. Er war ebenso gekleidet wie die anderen.
    »Anfänger, was? Aber in der Ausscheidung o. k.! Was willst du dir holen?«
    »Die Zeit und Punkte.«
    »Kommt darauf an, wieviel! Warst du nicht vorhin bei dem Schecken? Er ist von deiner Ranch?«
    »Ja.«
    »Teuflisches Biest. Sein erstes Rodeo?«
    »Sein viertes.«
    »Wirft jeden ab. Wenn er so weiter macht, kann er das ›Pferd des Jahres‹ werden und du bekommst mehr als 1000 Dollar dafür.«
    Joe zuckte zusammen und lenkte das Gespräch auf das Thema ›Preisrichter‹.
    »Wen haben wir heute?« – »Donald entscheidet.« – »Der Alte oder der Junge?« – »Der Alte. Hat Erfahrung und Dickkopf.« – »Kann auch nötig sein.«
    Der Sieger des Vorjahres hatte auf dem Programm den ersten Platz. Das gefiel ihm wenig. Er hätte lieber am Schluß gestanden, wäre lieber aufgetreten, wenn die Preisrichter schon einen Überblick über das gesamte Niveau hatten. Aber nun war das nicht zu ändern. Joe war unter zwanzig Teilnehmern des Wettbewerbs ›Bronc ohne Sattel‹ der elfte. Ihm war es lieb. An einem solchen Platze fiel er nicht vorzeitig auf.
    Die Gruppe teilte sich, die engeren Freunde gingen zusammen. Joe blieb wieder allein.
    Die ersten Besucher strömten auf das Rodeo-Gelände, die meisten, um den ganzen Tag hier zu verbringen. Es war Sonntag, man hatte frei. Die Besucherzahl des Sonntags war entscheidend für die Durchschnittshöhe der gesamten Rodeo-Einnahmen. Das Wetter war günstig. Die Banken, die Geschäftsleute, die Manager, die Stadtverwaltung atmeten auf.

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