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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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herabhängender Zweige konnten sie über eine Lichtung hinweg ein erbarmungswürdiges Bild sehen. Zwei Luchse hatten ein Reh geschlagen. Sie hatten es erst mit ihren Krallen geblendet, nun zerrissen sie es.
    Inya-he-yukan der Alte und der Junge legten an. Keiner von ihnen hatte dabei das geringste Geräusch verursacht, aber die Luchsaugen waren scharf und aufmerksam. Die Raubtiere stutzten und äugten nach dem Laubbaum. Es ging um den Bruchteil einer Sekunde, dann würden sie im Dickicht verschwinden.
    Zwei Schüsse krachten wie einer.
    Die Raubtiere überschlugen sich. Sie waren beide zwischen den Augen getroffen.
    Die Jäger eilten über die Lichtung zu ihrer Beute. Das Reh war tot; sie nahmen sich, was noch für Menschen davon brauchbar schien. Die Luchse häuteten sie ab. Von diesen beiden Räubern wollten sie nichts als das Fell mitnehmen.
    Harry Okute und Joe setzten den Abstieg fort. Sie hatten die Nacht hindurch und den Tag über nicht ein einziges Wort miteinander gesprochen und sich doch vollkommen verstanden.
    Als sie am späten Nachmittag wieder am Rastplatz anlangten, jubelten Collins und Evelyn, daß die Luchse tot waren und der Wildschaden nun ein Ende haben würde.
    »Warum habt ihr den Elch nicht erlegt?« fragte Collins, als man sich gemeinsam gesättigt hatte. »Wechselt er nicht mehr über den Bach?«
    »Er tut es. Aber warum wir nicht geschossen haben, obgleich du ihn uns freigegeben hattest, das mußt du Inya-he-yukan, meinen Sohn, fragen.«
    Stonehorn kam erst in Verlegenheit, aber da er wußte, daß Okute ihn verstand, antwortete er mit Freimut: »Der Schuß war zu leicht, und der alte Bursche war zu prächtig.«
    »Wir hatten nicht genug Hunger«, schloß Okute.
    Er lächelte, und es lag jene unnahbare Heiterkeit über ihm, die der bewältigte Abschied verleiht.
    Als die Sonne wieder gesunken war und die Kinder schon schlummerten, gingen Joe und Queenie noch einmal aus dem Zelt hinaus auf die Wiesen und zwischen den Bäumen hindurch, und während sie sich küßten, brauchten sie nichts zu denken, als daß sie jung waren und der Sommer auch aus den Sternen leuchtete. Am nächsten Morgen aber starteten die Motoren. Das laute Leben verlangte sein Recht. Queenie störte es nicht. Sie war glücklich. In den Poren ihrer Haut atmeten noch der Wald, das Wasser und der Wind. Stonehorn am Steuer blieb schweigsam, wie es sich für den Fahrer gehörte. Was ihn schmerzte, verbarg er.
    Am Ende der zweiten Woche des Besuches bei den Verwandten verabschiedeten sich Joe und Okute, um der Stadt der großen Wettkämpfe zuzufahren. Joe wollte die Vorrunden schon bestehen, ehe die anderen nachkamen. Queenie war aufgeregter als Joe, aber um der Kinder willen bereit, noch ein paar Tage Ruhe mit Untschida zusammen bei Collins zu verbringen.
    An dem Tage, an dem auch die Frauen in der Stadt des großen Rodeos eintrafen, waren das Nationalfest der Prärie und das ›big business‹, der große Geschäftsbetrieb, schon in vollem Gange.
    Düsenflugzeuge landeten und stiegen wieder steil zur Höhe; sie kamen aus allen Richtungen, aus den USA, aus Mexiko, aus den canadischen Provinzen. Sie kamen auch mit Fluggästen aus anderen Erdteilen. Die Grey-Hounds, schnelle Überlandbusse, brachten die weniger zahlungskräftigen Gäste in Eilfahrten Tag und Nacht heran.
    Die Busse und Limousinen, die den Verkehr von dem Flugplatz zur Stadt vermittelten, waren bis zum letzten Platz besetzt und schalteten zusätzliche Fahrten ein.
    Aus den Hotels kamen Gäste und solche, die es wegen Überfüllung nicht mehr werden konnten.
    Nur mit Mühe schoben sich die Privatwagen durch die Straßen, die von Limousinen und Cabriolets wimmelten. Wegweiser, mit Indianer- und Cowboyköpfen ausgemalt, bezeichneten die Richtung durch die Stadt zum Festgelände. Die Fußgänger hatten fast alle irgendwelche Abzeichen des Cowboylebens angelegt, die Geschäfte waren damit ausgestattet, in den Gastwirtschaften bedienten blondgelockte Cowgirls, die vielleicht noch nie eine Kuh gesehen hatten.
    Mit rasendem, die ganze Straße erfüllendem Sturmgeheul der Sirenen brachen hin und wieder die Feuerwehr, ein Rettungswagen oder die Polizei durch das Gewühl der Straßenkreuzer hindurch.
    Die Frauen waren früh aufgebrochen und langten schon beim ersten Morgendämmern in der Stadt an. Das war die beste Stunde, denn nach den durchfeierten Nächten wurde zu dieser Zeit geschlafen. Es war kühl, obgleich die Tage über Mittag schon fast unerträglich heiß wurden.

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