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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Inya-he-yukans Schwester als seine Frau geführt hatte. Hier jagten und pflegten die Enkel und Urenkel noch das Wild, Elche, Bären, Hirsche, Rehe.
    Die beiden Jäger schwangen sich in das Geäst eines Baumes hinauf, um dort den Rest der Nacht zu verbringen. Der Morgen stand schon bevor.
    Als sich die Finsternis löste und Sonnenschimmer in den Wasserschleiern zu glänzen begann, horchten die beiden im Baum auf. Geäst brach. Schwere Tritte lasteten über gurgelndes Moos, brechendes totes Gezweig.
    Er kam.
    Das war der Elch, König des weiten Waldes und der hochgelegenen Moore.
    Er kam zu seiner Tränke auf den gewohnten Spuren, die die beiden Jäger längst erkannt hatten. Stolz, mächtig erschien er zwischen den Urwaldbäumen, aber auch mit lauernder Vorsicht, wie es einem alten, erfahrenen Bullen zukam. Einmal faßte er Verdacht, er verhoffte. Aber die beiden Jäger waren mit Duftkräutern eingerieben, die Untschida gesammelt hatte. Der Duft täuschte den Elch, so daß er an den Baum heranging, in dessen hohem Geäst seine Feinde regungslos lauerten. Das Tier begann an dem Laub zu rupfen, das schlechter schmeckte, als der Duft ihm versprochen hatte. Es war verwirrt, da seine Wahrnehmungen nicht übereinstimmen wollten, gab das Futter auf und lief weiter zu dem Bach, dessen quirlende Flut erquickte. Lange und ruhig soff das gewaltige und gefährliche Tier; Wasser troff noch von seinem Maul, als es den Kopf hob und nochmals äugte und horchte. Die Jäger konnten diesen Elchbullen mustern und bewundern aus einer Nähe, wie es nur äußerst selten gelang.
    Im Bach sprang eine Forelle nach einer Fliege, die sich ans Morgenlicht gewagt hatte.
    Der Elch durchwatete das Felsbecken und verschwand jenseits im Wald auf einem seit langem von ihm selbst getretenen Pfad. Inya-he-yukan der Alte ließ sich vom Baum herab, und der Jüngere sprang auf das Moos hinunter. Die beiden schauten zu dem Schleierfall und dem natürlichen Becken, durch die der Elch seinen Weg genommen hatte, um jenseits des Baches weiterzuziehen. Sie legten ab, gingen in das morgenblaue Wasser und ließen sich den Gischt über die Schultern sprühen. Ihre Haut zog sich zusammen, und sie fühlten sich frisch. Als sie sich am Ufer schüttelten, lachten sie beide. Kein Gram vieler Jahrzehnte hatte in Inya-he-yukan dem Alten die Kraft ersticken können, bei Sonnenaufgang in der Wildnis mit dem Sohn, mit dem er sich eins wußte, wie ein Knabe zu spielen.
    Es fiel aber kein Wort. Stillschweigend ließen sich beide am Ufer nieder, tranken, wo auch der Elch gesoffen hatte, und Inya-he-yukan Okute griff mit der Hand zwei Forellen aus einem Uferversteck, aus dem er schon vor einem Jahrhundert Forellen gefangen hatte. Das Wasser hatte in dem Fels kaum weiterfressen können. Hundert Jahre waren dafür nur eine kurze Zeit. Stonehorn richtete ein kleines Feuer und briet die Fische. Sie schmeckten köstlich.
    Die Jäger machten sich wieder gemeinsam auf den Weg, am Bache aufwärts zu einem Hochmoor.
    Das Moor hoch oben am Berg war kahl, nur ein paar Latschen- und Krüppelkiefern hatten sich hier noch angesiedelt. Weit flog der Blick über die Täler und Gipfel und zu der fernen Prärie, die in Okutes Kindheit noch das unbestrittene Reich des Indianers gewesen war. Was für ein herrliches Land hatte das Volk der Indianer verloren – und doch sich selbst nicht aufgegeben.
    Nach einer stummen Stunde begannen der Alte und sein Wahlsohn wieder den Abstieg. Auch der Greis vermochte noch, Hänge hinabzuspringen.
    Plötzlich, 200 Fuß vor dem Wildwechsel am Bach, stockte Stonehorn, und Okutes Blick folgte dem seinen.
    Die Fluchtspur eines Rehes führte von der Tränke in den Wald. Sie war blutbespritzt.
    Der Alte schaute einen Augenblick prüfend umher. Seine Mienen wurden zornig und hart. Er wies seinen Sohn mit einem Blick an, ihm voran der Spur nachzuschleichen. Beide luden die Jagdgewehre durch.
    Stonehorn hatte gelernt, in der Prärie Fasane zu überraschen, in Straßen und Häusern Deckung zu nehmen und lautlos zu bleiben, aber eine ähnliche Aufgabe im Wald war neu für ihn und darum noch schwierig. Doch stachelte es seinen Ehrgeiz, vor Okute zu bestehen. Er bewegte sich sehr geschickt, nur noch zu langsam, gehemmt von der Furcht, ein unvorhergesehenes Geräusch zu verursachen.
    Der alte Inya-he-yukan hielt nach hundert Schritt an und legte Stonehorn vorsichtig die Hand auf den Arm. Beide wurden reglos wie aufgestörtes Wild. Zwischen den Blättern zweier tief

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