Nacht über der Prärie
Öffentliche Riesenthermometer, an Straßenkreuzungen in Höhe des zehnten oder zwölften Stockwerks der Hotels angebracht, zeigten jetzt nur achtzehn Grad Fahrenheit.
Auf dem Fahrdamm war noch Platz. Die Bürgersteige waren leer. Die nächtliche Beleuchtung in Weiß, Grün und Rot erlosch eben. Einige Schaufenster lockten noch im künstlichen Licht mit den besonders teuren oder besonders billigen Waren für die Rodeo-Gäste.
Queenie lenkte direkt zum Rodeo-Gelände, um ihren Mann zu suchen und zu begrüßen. Joe, der die Vorrunden bestanden hatte, wartete schon mit beherrschter Ungeduld. Joe, Queenie, Okute und Untschida besaßen Zulassungsscheine für das Indianerdorf, das auf dem Festgelände als besondere Attraktion aufgebaut war. Sie konnten die Wagen alle auf dem Teilnehmerparkplatz abstellen und gingen dann mit ihren Köfferchen und den Kindern zu dem umzäunten Rund, auf dem einige besonders große, mit geometrischen Symbolen und Tierfiguren bemalte Indianerzelte im Kreis aufgebaut waren. Ein Zelt gehörte zu Collins Stamm; dort waren Okute und Joe schon untergebracht.
Die Frauen meldeten sich. Die Bewohner des Zeltes hatten alle noch geschlafen, da der Abend bei dem Festbetrieb immer lang wurde, doch erhoben sich jetzt Vater und Mutter und begrüßten die neuen Gäste. Okute hatte Büffelfell und Bärenfell mitgebracht. Queenie hatte Decken dabei. Die Zeltbewohner sahen es gern, daß die Gäste auch ihren eigenen Proviant mitgebracht hatten. Sie waren ärmere Leute als Collins und verdienten sich mit der Aufstellung des Zeltes und der Schau des Indianerlebens einige Dollars. Sie hofften sehr, bei dem Wettbewerb der Zelte einen Preis davonzutragen.
Queenie ruhte noch zwei Stunden mit den Kindern und gab ihnen dann die volle Brust. Die Harmonie, das Natürliche und Hoffnungsvolle der kleinen Gruppe, gewann sofort alle Zeltbewohner.
Okute und Untschida waren zwischen den Zelten und um den Baum, der in der Mitte des Rundes stand, unterwegs. Kinder und Erwachsene kamen schon aus den Tipi heraus. Sie gehörten verschiedenen Stämmen an. Assiniboine, Blutindianer, Siksikau, Kri, Peigan waren vertreten. Die Unterhaltung ging auf englisch oder in Zeichensprache vor sich. Buben übten sich noch vor dem Frühstück im Ringkampf, aber noch beliebter war das bucking-horse-Spiel, bei dem jeweils ein Junge das Pferd darzustellen hatte.
Über dem gesamten Festplatz lagen zu der frühen Stunde die Ruhe und die Sachlichkeit der Arbeitsvorbereitungen. Die Tribünen wurden gereinigt, die Fahrbahn für das Wagenrennen noch einmal durchgeglättet, das Gelände für das abschließende Broncreiten vorbereitet. Die zahlreichen kleinen und großen Buden füllten ihre Vorräte an alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken nach, die Lebensmittel für die Küchen wurden geliefert und schon zugerichtet. Bei den Buden, in denen Souvenirs verkauft werden sollten, fanden sich bereits die ersten Verkäufer oder Pächter ein. Bänke und Stühle standen in den Limonaden- und Würstchenbuden und Restaurants in Reih und Glied. Für die Kapellen waren die Plätze vorgesehen. Die Ordner und Kontrolleure kamen. Die Wechselkassen am Eingang wurden besetzt. Die Zahlung selbst erfolgte mit Automaten. Die Programme lagen schon bereit. Der heutige Tag gehörte dem Wagenrennen und der letzten Runde des Broncreitens. Außerdem war die Viehschau für die Preisverteilung geöffnet.
Joe ließ sich im Zeltdorf sehen und frühstückte mit, dann ging er zu seinem Pferd, das im Rodeo-Leihstall stand. Die Rodeo-Leitung hatte den Schecken für die jetzige Veranstaltung sofort gemietet; nach dem Rodeo wollte man mit Joe über Ankauf und Preis verhandeln. In den Vorrunden hatte der Schecke alle Reiter abgeworfen und sich so vor den Augen der Rodeo-Leitung ausgezeichnet, bei den Rodeo-Cowboys aber unbeliebt gemacht. Joe hatte zugesehen, obgleich sich ihm die Eingeweide umdrehen wollten, wenn fremde Männer auf seinem Pferd saßen. Er selbst hatte auf anderen Broncs seine Aufgabe bestanden. Bei den zentralen Veranstaltungen wurden die Tiere für die Reiter ausgelost, während bei lokalen Wettbewerben die Reiter ihre eigenen Pferde mitbrachten.
Queenie erwarb ein Programm. Sie studierte es zusammen mit der freundlichen Hausfrau des Zeltes und erfuhr, daß Joe überhaupt der einzige Indianer war, der an den Wettbewerben teilnahm. Die anderen waren alle nur als Schaustellungsobjekte gekommen.
Die Männer hatten in ihren Prachtkostümen die Indianerparade
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