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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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niemanden mehr in Schach halten. Die Sinnesverwirrung drohte diejenigen zu überwältigen, die sie hervorgerufen hatten. Das Schlagzeug hämmerte noch, die Elektrogitarren sausten in neuem Rhythmus, der Saal brauste, draußen heulten die Sirenen.
    Queenie saß hinter dem fremden jungen Mann auf der geheimnisvollen Kiste. Stonehorn hatte nicht wieder Platz genommen.
    Um das Podium war ein wütender Kampf im Gange, Schläger gegen Schläger. Noch hatte die Garde das Übergewicht.
    Die Eckwand um den Banditentisch war weniger bedroht, nachdem die eine nahegelegene große Tür gewaltsam geöffnet worden war.
    Mike wechselte einen Blick mit Jenny.
    Die meisten Gangster und ihre verwegenen Weiber hatten sich wieder am Tisch zusammengefunden. Sie waren alle bewaffnet.
    An Joe war keine Waffe zu sehen. Was er aus seinen weiten Cowboyhosen, aus seinen Stulpenstiefeln oder unter seinem dunklen Hemd etwa hervorsuchen konnte, wußte noch niemand. Aber daß er sich der Feme nicht als schlachtreifes Lamm ergeben würde, das wußten die Kumpane alle.
    Der erste Sturm auf das Podium war abgeschlagen. Es gelang einigen Polizisten, ohne Schießeisen, nur mit Knüppeln durchzudringen und die Leibwache zu verstärken. Aus dem Hohngeschrei draußen im Freigelände war zu entnehmen, daß jetzt Wasserwerfer bereitstanden. Als sie zu arbeiten begannen, drängte eine neue Welle von Menschen von draußen fluchtartig herein und vermehrte den Druck, der sich in Richtung des Podiums auswirkte.
    Die Newt Beats hatten gute Nerven. Sie dachten nicht daran, ihre Instrumente zusammenzupacken, denn mit einer solchen Geste hätten sie sich der Wut des Saales ausgesetzt. Sie spielten selbst nun wie die Verrückten, und das Seeungeheuer verrenkte sich als Schlangenakrobat. Der Beifall, der zu spenden war, lenkte die Aufmerksamkeit der Fans noch für einen Augenblick ab.
    Mit dem letzten Ton des Schlagzeugs waren die ›Molche‹ auch schon verschwunden.
    Es trat eine Sekunde vollständiger Stille ein, denn der Anblick des plötzlich leer gewordenen Podiums war zu verblüffend.
    Die Instrumente befanden sich noch am Platz. Sie waren eine Art zurückgelassener Beute, gleich dem Fleisch, das von Wölfen Verfolgte früher der lechzenden Meute hinwarfen, um Zeit zu gewinnen.
    Aus der Stille brach der Sturm los, und das Chaos der völligen Verkehrung menschlich-jugendlicher Gefühle trat ein. Die Saalwächter und ihre Polizeiverstärkung wurden überrannt, der Stoßtrupp der Fans war pfeifend und heulend über den Instrumenten her, die sie in Souvenirs zerteilten. Das Podium brach ein, und der Knäuel der Kämpfenden wälzte sich zwischen den zersplitterten Brettern. Draußen arbeiteten noch immer die Wasserwerfer, im Saal verbreitete sich Tränengas. Die heulenden Gesichter wirkten bizarr zwischen einem Restbestand unentwegt Tanzender und dem sich verbreitenden Tumult.
    Der Augenblick, in dem die Gangster ihre Mordabsichten gegen Joe King ausführen konnten, war gekommen.
    James stand links von Stonehorn, recht stand Mike. Stonehorn hatte die Lider halb gesenkt. Wen er in Wahrheit am aufmerksamsten beobachtete, war Jenny. Jenny hielt sich noch im Abstand. Seine Haltung ließ offen, ob er den Revolver ziehen oder auf andere Weise angreifen wollte.
    James, stark angetrunken, riß das Messer heraus, um es Joe in die Seite zu stoßen, aber Joe war wacher und hatte ihm das Handgelenk schon verrenkt. Er packte den Angreifer und warf ihn zurück. Es war wie die erste Abwehr des Hirsches gegen die Hundemeute. James schlug mit dem Hinterkopf auf die Tischkante auf und fiel zu Boden.
    Joe stand Mike gegenüber. Jenny hielt sich halbrechts.
    Joe stand vor Mike, links neben sich hatte er plötzlich einen anderen Gangster, der ihm unbekannt war, und halbrechts Jenny. Er hatte noch den Rücken frei, da war die Bretterwand. Im Saal tobten die Fans und ihre Gefolgschaft. Kein Polizist hatte die Möglichkeit oder auch nur das Interesse, sich um eine Ecke zu kümmern, in der es noch verhältnismäßig ruhig zuzugehen schien.
    Stonehorn wußte nach dem, was geschehen war, daß Mike ihm James geopfert hatte. James hatte zu denen gehört, die ihrem Boss nicht gehorcht hatten. Er mußte auch nach Mikes Meinung verschwinden. Blieb Joe King, der Abtrünnige.
    Es war der Augenblick, in dem die Hetzhunde auf Mikes Pfiff warteten. Keiner hätte in dieser Sekunde einen Cent für Joes Leben gegeben, auch er selbst nicht, obgleich er nach wie vor entschlossen war, sich zu verteidigen.

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