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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zu Ihnen – bei aller Gangstergewandtheit ein primitiver Indianer. Eine Art Kriegshäuptling. Das ist sein Vorteil und sein Nachteil. Für Menschen seiner Art gibt es aber nach – also nach einer Bekanntschaft mit modernen Ermittlungsmethoden – meist eine schwere psychische Übergangskrise. Er hat nicht unsere zivilisierten Abwehrstoffe in sich; er reagiert wie ein Kind oder ein Tier, kurz: wie ein Wilder, körperlich auf Medikamente, psychisch auf alles, was in seinen Augen eine Beleidigung darstellt. Tun Sie, was Sie können, damit er in seiner Krise nicht zum Trinker oder rauschgiftsüchtig wird… in bezug auf das letzte gab es einige Anzeichen…«
    »… sogar unter Ihrer Aufsicht und Verantwortung?« fragte Queenie in einer sehr unmittelbaren Art.
    »Missis King, Sie spielen den unverfrorenen Teenager besser, als ich je für möglich gehalten hätte. Sie sind offenbar Joes begabte und gelehrige Schülerin! Trotzdem noch einen Rat zu Ihrem Besten: Sorgen Sie dafür, daß er nicht Harold Booth umbringt. Wir haben die beiden konfrontiert, und Booth ist bei einigen entscheidenden Behauptungen geblieben, die – wie wir jetzt wissen – doch nicht wasserdicht gewesen sind. Ihren Mann hat das aber einige Verhöre mehr gekostet, und in einer Lage, wie die seine gewesen ist, wird man dagegen empfindlich. Sorgen Sie auch dafür, daß Ihr Mann nicht aus den sachlich völlig unbegründeten, eben darum unkontrollierbaren Rachegefühlen eines Wilden eines Tages unvermutet den ersten besten Hospitalarzt oder Beamten niedersticht – um die Sippe zu treffen, wenn er den ihm verhaßten einzelnen nicht fassen kann. In dieser Richtung sitzen seine Komplexe sehr tief. Es wäre das aber nach allen Dummheiten die Chefidiotie seines Lebens!«
    Hawley erblaßte. »Seine Augen waren immer merkwürdig«, sagte er, »einer meiner Mitarbeiter hatte schon vorgeschlagen, ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Sie wissen, Johnson, daß Kings Mutter bereits einen Mord begangen hat, und Joe King selbst stand zweimal unter Mordverdacht. Lediglich aus Mangel an Beweisen sind die Verfahren niedergeschlagen worden. Sind diese Dinge nun aufgeklärt?«
    Leslie Johnson verzog die Mundwinkel abwertend. »Stand nicht zur Debatte. Joe King war lediglich Zeuge, wenn auch ein verdächtiger Zeuge, und wir sind überhaupt kein gewöhnliches Morddezernat. Von Belang für uns sind nur die entwickelten Organisationsformen der Gangs, die uns die Arbeit so unerträglich erschweren.«
    »King hat wahrscheinlich noch Waffen zu Hause. Ich sage Ihnen offen, Johnson, zum erstenmal in meinem Leben ist mir einem Indianer gegenüber unheimlich zumute.«
    »Gibt sich, Hawley, das ist Gewöhnung. Ich habe King sogar sein berühmtes Stilett gelassen.« Johnson lachte lautlos, und Queenie hatte den Eindruck, daß der Beamte, der bei seinem gefährlichen Beruf eigene Furchtgefühle längst hatte überkompensieren müssen, Sir Hawley mit einem gewissen Vergnügen in Schrecken versetzte. »Jedenfalls«, schloß er, »haben wir Ihnen Ihre harte Nuß zurückgeliefert. Ihre Verwaltung wollte es durchaus so haben. Knacken Sie weiter daran herum. Sie haben ja Zeit; ich wünsche besten Erfolg.«
    Johnson ließ Queenie jetzt durch einen Wink wissen, daß sie gehen könne.
    Als sie die Türklinke schon in der Hand hatte, fragte er aber noch: »Und Sie beginnen in zwei Wochen Ihr neues Schuljahr auf der Kunstschule?«
    »Sind Sie für diese Frage zuständig, Mister Johnson? Dann werde ich sie beantworten.«
    »Ganz unzuständig, Missis King!« Er verbeugte sich.
    Queenie verließ den Raum und ging zu der Tür des Dienstzimmers von Nick Shaw. Die Sekretärin hatte nichts dagegen einzuwenden. Queenie klopfte und trat dabei auch schon ein.
    Mister Shaw, Stellvertreter des Superintendent, saß hinter seinem wohlgeordneten Schreibtisch und machte Aktennotizen. Auf einem Besucherstuhl an der Wand saß die Holzfigur Joe King.
    »Wir können gehen«, sagte Queenie.
    Joe erhob sich, vergaß, Mister Shaw zu grüßen, und ging mit Queenie aus dem Hause hinaus zu dem Wagen. Er stand einen Augenblick davor, als sei er unschlüssig und warte, ob von dem Fahrer des Dienstwagens her, mit dem er gekommen war, noch irgendein Anruf oder eine Frage erfolge. Aber dieser Chauffeur blieb die personifizierte Gleichgültigkeit, wie Queenie auch nicht anders angenommen hatte. Das einzige, was ihr an ihm auffiel, waren die besonders weichen anschmiegenden, der Haut gleichenden

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