Nacht über Eden
geholfen. Du weißt nicht, wie sehr mir das geholfen hat, Annie. Allein zu wissen, daß du für mich da bist und mich ermutigst, weiterhin zu jenen hohen Gipfeln aufzustreben, um den Blick von dort oben zu genießen. Als ich erfuhr, daß ich in Harvard angenommen bin, habe ich mir gedacht, daß Annie stolz auf mich sein wird. Manchmal habe ich das Gefühl, daß du meine einzig wahre Familie bist. Ich danke dir, Annie.«
»Du brauchst dich nicht zu bedanken, Luke Toby Jr.« Es klang so, als wäre ich nur eine gute Freundin, und das gefiel mir nicht. Ich mußte ihm doch noch mehr bedeuten!
»Schließlich hast du dir schon oft genug meine Sorgen angehört.«
Er lächelte, und seine blauen Augen waren so mild und warm wie der sonnenerfüllte Himmel, der sich über uns wölbte.
»Ich werde dich vermissen, wenn du nach Europa gehst, um dort Kunst zu studieren. Aber ich weiß, wie wichtig es für dich ist«, fügte er hinzu, »und ich weiß, wie sehr es dir dabei helfen wird, eine wunderbare Malerin zu werden.«
»Ich werde dir oft schreiben, aber ich bin sicher, daß du schon nach der ersten Woche ein lebenslustiges Mädchen aus der Stadt zur Freundin haben wirst.« Wie sehr wünschte ich mir, ihm zu sagen, daß ich immer seine Freundin bleiben würde, aber wie konnte ich? Wir waren Bruder und Schwester, und es schien, als stünde die ganze Welt zwischen uns und hindere uns daran, das zu tun, wonach wir uns wirklich sehnten. Denn im Innersten meines Herzens wußte ich, daß er ebenso empfand wie ich, und ein Teil unserer Herzen trauerte und sehnte sich danach, daß wir für immer beieinander bleiben könnten. Doch wir mußten so tun, als wäre es ganz selbstverständlich, daß jeder von uns jemand anderen finden würde, obwohl wir doch insgeheim darum beteten, daß es nie geschehen möge.
Sein Lächeln verschwand, und er war plötzlich so ernst wie ein Pfarrer bei der Sonntagspredigt.
»Ich weiß nicht…, nachdem du mein ganzes Leben lang meine Vertraute warst, wird das Mädchen, in das ich mich verliebe, vollkommen sein müssen.« Seine leuchtenden blauen Augen richteten sich wieder auf mich. Sein Blick war jetzt voller Wärme und Zuneigung, und es war mehr als nur eine brüderliche Zuneigung. Er betrachtete mich mit solchem Verlangen, daß ich spürte, wie eine heiße Welle in mir aufstieg und meine Wangen rötete. Wir sahen uns an wie ein junges Liebespaar. Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. Alles in mir verlangte danach, ihn zu umarmen. Ich konnte seine Lippen fast auf den meinen spüren. Er wartete und suchte in meinem Gesicht ein Zeichen der Ermutigung. Ich mußte dem Ganzen ein Ende setzen, ehe wir zu weit gingen.
»Ich werde dich später anrufen«, flüsterte ich atemlos und rannte über die Auffahrt zur Vordertür von Hasbrouck House.
Als ich mich umwandte, stand er noch immer regungslos auf demselben Fleck. Er winkte, und ich winkte zurück. Dann huschte ich ins Haus und lief hinauf in mein Zimmer. Mein Herz klopfte so stürmisch wie nie zuvor. Warum mußte Luke, der mir näher stand als sonst irgendein Gleichaltriger, ausgerechnet mein Halbbruder sein? Wir teilten so vieles, unser Glück und unsere Trauer.
Wie sehr wünschte ich mir, er wäre irgendein Fremder, der in Harvard studierte. Ich würde Tony Tatterton in Farthinggale besuchen und Luke in Boston kennenlernen. Vielleicht würden wir uns in einem Kaufhaus treffen. Er würde plötzlich neben mir stehen und sagen: »Oh, diese Farbe paßt aber gar nicht zu Ihnen. Nehmen Sie doch den hier.« Und er würde mir einen marineblauen Schal entgegenhalten. »Er betont das Blau Ihrer Augen.«
Ich würde mich umdrehen und in das hübscheste Gesicht blicken, das ich je gesehen hatte. Und dann würde ich mich sofort in ihn verlieben.
»Verzeihen Sie, daß ich so frei bin, aber ich konnte nicht mitansehen, daß sie einen solchen Fehler begehen.«
»Dann muß ich mich wohl bei Ihnen bedanken«, würde ich sagen und kokett die Augen niederschlagen. »Aber zuerst würde ich gern Ihren Namen wissen.«
»Luke. Und Sie heißen Annie. Ich habe mir schon die Mühe gemacht, es herauszufinden.«
»Oh, wirklich?« Ich würde mich geschmeichelt fühlen. Dann würden wir zusammen Kaffee trinken gehen, und wir würden reden und reden. Jedes Mal, wenn ich nach Boston käme, würden wir zusammen zum Essen oder ins Kino gehen. Dann würde er mich auf dem Familienbesitz besuchen, und in dieser prachtvollen Umgebung würden wir uns näher kennenlernen.
Aber das Haus
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