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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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so laut er es wagen konnte. »Tango eins und Tango zwei. Hier spricht Tango Lima. Schickt die Männer zur Küstenseite von Lady’s Rock. Sofort. Nicht antworten. Nur losschicken. Unverzüglich.«
    Während er sprach, sah er Mary unsicher und mit hochgezogenen Schultern auf ihre Tochter zugehen. Er schätzte, dass etwa dreißig Meter Abstand sie voneinander trennten. Es schien ihm, dass Mary schneller vorankam als ihre Tochter. Als sie schon nahe genug waren, dass sie sich berühren konnten, sah er Cat die Hand nach der Tasche ausstrecken.
    Zu seiner Überraschung war dies der Moment, in dem Mary die Konditionierung ihrer über dreißigjährigen Ehe mit Brodie abwarf. Statt zu tun, was ihr zuerst durch die Geiselnehmer und dann von ihrem Mann aufgetragen worden war, hielt Mary die Tasche fest, während Cat versuchte, sie ihr zu entreißen. Er hörte, wie verzweifelt Cat war, als sie rief: »Um Gottes willen, Mutter, gib mir das Ding. Du weißt nicht, mit wem du es hier zu tun hast.«
    »Gib ihr die verdammte Tasche, Mary«, brüllte Grant. Lawson hörte den Mann keuchen.
    Dann erklang wieder die Stimme des Geiselnehmers. »Übergeben Sie die Tasche, Mrs.Grant. Oder Sie werden Adam nicht wiedersehen.«
    Lawson bemerkte den Schrecken auf Cats Gesicht, als sie hilflos über ihre Schulter und ins Licht sah. »Nein, warte«, rief sie. »Es wird alles gut.« Sie schien die Tasche ihrer Mutter zu entwinden und einen Schritt nach hinten zu tun.
    Plötzlich sprang Grant ein halbes Dutzend Schritte vor, und seine Hand verschwand in seinem Mantel. »Verflucht«, entfuhr es ihm. Dann wurde seine Stimme lauter. »Ich will meinen Enkel, und zwar sofort.« Er zog die Hand heraus, und der stumpfe Glanz einer automatischen Pistole leuchtete im Licht auf. »Keine Bewegung. Ich habe eine Waffe und keine Angst, sie zu benutzen. Bringt jetzt Adam raus.«
    Später fragte sich Lawson, wie Brodie Maclennan Grant so viele schlechte Klischees in sich vereinen konnte. Aber in dem Moment damals spürte er nur die Katastrophe nahen, und die Zeit schien sich zu verlangsamen. Als der Geschäftsmann die Arme hob, mit beiden Händen die Waffe hielt und zielte, begann Lawson auf Grant zuzulaufen. Aber bevor Lawson einen zweiten Schritt machen konnte, war das Licht weg, und die plötzliche Dunkelheit machte ihn blind und hilflos. Er sah den Blitz aus einer Gewehrmündung neben sich, hörte einen Schuss, roch Kordit. Dann eine zweite Szene, die genauso ablief, aber diesmal weiter weg. Er stolperte über einen heruntergefallenen Ast und schlug der Länge nach hin. Er hörte einen Schrei, ein weinendes Kind. Eine hohe Stimme, die mehrmals »Scheiße« wiederholte. Dann wurde ihm klar, dass es seine eigene war.
    Ein dritter Schuss erklang, diesmal aus dem Wald. Lawson versuchte aufzustehen, aber ein brennendes Stechen zog sich von seinem Knöchel herauf. Er rollte sich auf die Seite und suchte nach Taschenlampe und Funkgerät. »Nicht schießen«, rief er ins Funkgerät. »Nicht schießen, das ist ein Befehl.« Während er sprach, sah er die Lichtkegel von Taschenlampen hin und her fahren und seine Männer am Fuß des Felsens aufkreuzen.
    »Sie haben ein Boot, verdammte Scheiße«, hörte er jemanden rufen. Dann ein Rumpeln, lauter als das Geräusch der Wellen, als der Motor ansprang. Lawson schloss einen Moment lang die Augen. Was für ein Fiasko. Er hätte noch intensiver versuchen sollen, Grant dazu zu bringen, dass er diesen von Anfang an zum Scheitern verurteilten Plan ablehnte. Er fragte sich, was sie in ihre Gewalt gebracht hatten. Das Kind, auf jeden Fall. Das Geld, wahrscheinlich. Die Tochter, vielleicht.
    Aber in Bezug auf Catriona Maclennan Grant irrte er sich. Er irrte sich auf entsetzliche, grausame Weise.

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Montag, 2. Juli 2007,
Peterhead
    B rodie Maclennan Grant hatte eine Schusswaffe?« Karens Stimme war so hoch, dass sie fast quiekte. »Er hat einen Schuss abgegeben? Und Sie haben es nicht im Bericht erwähnt?«
    »Ich hatte keine Wahl. Und damals hielten wir es für eine gute Idee«, rechtfertigte sich Lawson mit dem zynischen Unterton eines Mannes, der seine Vorgesetzten zitiert.
    »Eine gute Idee? Cat Grant ist in jener Nacht gestorben. In welchem Sinn war das eine gute Idee?« Karen konnte nicht glauben, was sie da hörte. Der Gedanke eines derart anmaßenden Verhaltens war ihr vollkommen fremd.
    Lawson seufzte. »Die Welt hat sich verändert, Karen. Wir hatten damals keinen Beauftragten für Beschwerden über die Polizei. Wir

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