Nacht unter Tag
Wegräumen der Felsbrocken fertig sind, wird es interessant werden.«
River grinste. »Lassen Sie bloß meine Anthropologen nicht hören, dass Sie sie Arbeiter nennen.« Sie sah sich liebevoll nach ihnen um. »Wenn wir Glück haben, werden sie den größten Teil der Felsmassen bis heute Nachmittag aus dem Weg geräumt haben.« Sie waren alle überrascht gewesen, dass der Felseinbruch nur ein paar Meter tief war. Nach Rivers Erfahrung reichten Höhleneinbrüche meistens weit nach hinten. Eine Bruchlinie musste eine beträchtliche Stärke haben, bevor die kritische Masse erreicht war und eine vorher stabile Decke herunterkrachte. Wenn sie also einbrach, nahm sie viel Felsenmaterial mit. Aber hier verhielt es sich anders. Und das machte es wirklich sehr interessant.
Die oberen zwei bis zweieinhalb Meter hatten sie schon so weit abgetragen, wie sich die Steinmassen nach hinten erstreckten. Als River unterwegs gewesen war, um für alle Pasteten und belegte Brote zum Mittag zu holen, waren zwei der Unerschrockensten hinaufgeklettert. Sie hatten nach hinten gespäht und berichtet, es sehe aus, als sei der Gang hinter dem Einsturz außer einigen von dem großen Haufen heruntergerollten Brocken frei.
River ging hinaus, um zwei Anrufe zu erledigen, und genoss als Bonus die salzige Luft. Sie hatte das Gespräch mit der Sekretärin ihrer Abteilung gerade abgeschlossen, als einer der Studenten aus dem schmalen Eingang herausgestürzt kam.
»Frau Dr.Wilde«, schrie er. »Sie müssen kommen und sich das ansehen.«
[home]
Campora, Toskana
B el hatte ihre Geschichte mit Blick auf die intensivste emotionale Reaktion angelegt. Nach Renatas und Giulias fassungslosem Schweigen zu urteilen, hatte sie ihr Ziel erreicht.
»Das ist so traurig. Ich wäre niedergeschmettert, wenn das in meiner Familie passiert wäre«, sagte Giulia endlich und betrachtete die Geschichte wie eine Frau, die mit Seifenopern und Regenbogenpresse aufgewachsen ist. »Der arme kleine Junge.«
Renata war objektiver. »Und Sie meinen, dass Gabriel dieser Junge sein könnte?«
Bel zuckte mit den Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Aber das Poster ist der erste klare Hinweis, den es seit mehr als zwanzig Jahren gegeben hat. Und Gabriel sieht dem Großvater des verschwundenen Jungen unglaublich ähnlich. Vielleicht ist es nur Wunschdenken, aber ich frage mich, ob wir da auf etwas gestoßen sind.«
Renata nickte. »Deshalb müssen wir helfen, so gut wir können.«
»Ich rede nicht noch einmal mit den Carabinieri«, stellte Giulia klar. »Die Schweine.«
»He«, beklagte sich Grazia und unterbrach ihre Erbsenschälerei. »Beleidige mir nicht die Schweine. Unsere Schweine sind wunderbare Wesen. Intelligent. Nützlich. Nicht wie die Carabinieri.«
Renata hielt die Hand hoch. »Geben Sie mir den USB -Stick. Es ist sinnlos, mit den Carabinieri zu sprechen, weil sie sich nichts aus diesem Fall machen. Nicht so, wie Sie sich dafür interessieren. Nicht so wie die Familie. Deshalb sollten wir alles Ihnen überlassen.« Fachmännisch kopierte sie das Bild auf Bels USB -Stick. »Jetzt müssen wir nachsehen, ob noch mehr Fotos von Gabriel und seinem Vater da sind.«
Am Ende der Suche hatten sie drei Bilder, auf denen Gabriel zu sehen war, aber keines war deutlicher als das erste. Renata hatte auch zwei Bilder seines Vaters gefunden, eines im Profil und eines, auf dem die Hälfte seines Gesichts durch den Kopf einer anderen Person verdeckt war. »Meinen Sie, dass noch jemand Fotos von dem Abend hat?«, fragte Bel.
Beide Frauen schienen skeptisch. »Ich erinnere mich nicht, dass noch jemand Bilder gemacht hat«, sagte Renata. »Aber mit Handys, wer weiß? Ich frag mal rum.«
»Danke. Und es wäre gut, wenn Sie sich erkundigen könnten, ob noch jemand anders Gabriel oder seinen Vater kannte.« Bel nahm den kostbaren USB -Stick an sich. So bald wie möglich würde sie die Bilder einem Kollegen schicken, einem Spezialisten für die Bearbeitung unscharfer Fotos, auf denen Reiche und Schöne skandalöse Dinge mit unpassenden Leuten taten.
»Ich habe eine bessere Idee«, meinte Grazia. »Ich könnte doch heute Abend ein Schwein schlachten lassen, wir braten es am Spieß, und Sie können alle treffen. Nach einem schönen Stück Fleisch und ein paar Gläsern Wein werden sie bereit sein, Ihnen alles zu sagen, was sie über diesen Gabriel und seinen Vater wissen.«
Renata grinste und hob ihr Glas. »Darauf stoße ich an. Aber ich warne dich, Grazia, dein Schwein könnte umsonst
Weitere Kostenlose Bücher