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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Meter hohe Klippe mit vielen Löchern und schmalen Spalten. Ein Paradies für kleine Jungen. Auf der anderen Seite fiel er in einem Winkel von fünfundvierzig Grad ab und war mit dicken Grasbüscheln und kleinen Sträuchern bewachsen. Aber in ihrer Vorstellung hatte er viel weiter in die Höhe geragt.
    »Es liegt nicht nur an Ihrer Erinnerung, die Sie täuscht. Ich weiß, jetzt macht er nicht besonders viel her, aber vor zwanzig Jahren lag die Küste ein ganzes Stück tiefer, und der Felsen war viel höher. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was ich meine.«
    Beveridge führte sie an der Seite von Lady’s Rock nach unten. Der Pfad bestand praktisch nur aus Gras, das vom Begehen zur Seite gedrückt war, ganz anders als der ordentliche Wanderweg der EU . Sie gingen ein Dutzend Schritte an dem Felsen vorbei auf eine Fläche aus grobem Beton, die wie eine schmale Straße aussah. Ein paar Meter weiter war ein rostiger Metallring in den Beton eingelassen. Karen runzelte die Stirn und versuchte zu verstehen, wozu das Ding gut sein sollte. Sie ließ den Blick die Straße entlangschweifen, die nach einer Biegung schließlich zum Meer hin verlief. »Ich versteh das nicht«, meinte sie.
    »Hier war eine Landestelle«, erklärte Beveridge. »Das ist ein Anlegering. Vor zwanzig Jahren konnte man hier noch mit einem Boot von einer ganz anständigen Größe anlegen. Die Küste lag zwischen zwei und vier Meter tiefer als heute, je nachdem, wo man steht. So haben sie es geschafft.«
    »Mein Gott«, entfuhr es Karen. Sie ließ das alles auf sich wirken – das Meer, den Felsen, die Anlegestelle, das Waldstück hinter ihnen. »Wir hätten sie aber doch bestimmt kommen hören, oder?«
    Beveridge lächelte ihr zu, wie ein Lehrer seiner Lieblingsschülerin. »Das würde man denken, nicht wahr? Aber wenn man ein kleines offenes Boot nimmt, könnte man mit der ansteigenden Flut heranrudern. Hätte man einen guten Bootsmann, dann würde man nichts hören. Außerdem wirkt der Felsen selbst als Schalldämpfer, wenn man oben auf dem Weg ist. Man kann das Meer selbst kaum hören. Als sie dann auf der Flucht waren, konnten sie natürlich Vollgas geben. Sie hätten schon in Dysart oder Buckhaven sein können, bevor wir hier den Hubschrauber gestartet hatten.«
    Karen studierte noch einmal die räumlichen Verhältnisse. »Schwer zu glauben, dass niemand ans Meer dachte.«
    »Doch, es wurde daran gedacht«, erwiderte Beveridge abrupt.
    »Sie meinen, Sie dachten daran?«
    »Ich und mein Sergeant.« Er wandte sich ab und starrte aufs Meer hinaus.
    »Warum hat niemand auf Sie gehört?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Sie hörten uns an, das muss ich zugeben. Wir hatten eine Besprechung mit DI Lawson und Brodie Grant. Die beiden glaubten einfach nicht, dass es möglich wäre. Ein großes Boot wäre zu auffällig, zu leicht zu entdecken und einzuholen. Ein kleines wäre unmöglich, weil man eine erwachsene Geisel in einem offenen Boot nicht bändigen könnte. Sie sagten, die Kidnapper hätten vorausschauende Planung und Intelligenz bewiesen und würden bestimmt keine solch unüberlegten Risiken eingehen.« Er wandte sich ihr wieder zu und seufzte. »Vielleicht hätten wir nicht lockerlassen sollen. Dann wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen.«
    »Vielleicht«, sagte Karen nachdenklich. Bis jetzt hatten alle die missglückte Lösegeldübergabe aus der Perspektive der Polizei und Brodie Grants betrachtet. Aber es gab einen anderen Blickwinkel, der Beachtung verdiente. »Sie hatten aber schon in gewisser Weise recht, oder? Wie schafften sie es in einem kleinen Boot? Sie haben eine erwachsene Geisel. Sie haben ein entführtes Kleinkind. Sie müssen sich um das Boot kümmern und die Geiseln unter Kontrolle halten, und in einem Boot, das so klein war, dass es beim Näherkommen nicht entdeckt würde, können nicht viele Menschen gewesen sein. Ich hätte diese Operation nicht gern geleitet.«
    »Ich auch nicht«, pflichtete Beveridge bei. »Es wäre schwer genug, diese Fracht ans Land zu bekommen, wenn alle zusammenhielten, gar nicht zu reden davon, wenn sie uneins wären.«
    »Es sei denn, sie waren schon eine ganze Weile vor der tatsächlichen Übergabe vor Ort. Es wurde ja schon um vier dunkel, und die Landestelle selbst hätte ein kleines Boot aus den meisten Blickrichtungen verdeckt …« Sie überlegte. »Wann habt ihr euch aufgestellt?«
    »Wir sollten die ganze Gegend ab zwei Uhr überwachen. Die zusätzlichen Teams waren um sechs an Ort und

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