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Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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und nachfragen können?«, mischte sich der Minzdrops ein. Die beiden Frauen starrten ihn amüsiert und nachsichtig an.
    »Unser Telefon war schon seit Monaten abgestellt, Kleiner«, entgegnete Jenny und warf Karen einen Blick zu. »Und es war lange, bevor es Handys gab.«
    Inzwischen lechzte Karen praktisch nach einer Tasse Tee, aber sie wollte auf keinen Fall in Jenny Prentice’ Schuld stehen. Sie räusperte sich und machte weiter. »Wann fingen Sie an, sich Sorgen zu machen?«
    »Als das Kind mich morgens aufweckte und er immer noch nicht heimgekommen war. Das hatte er noch nie getan. Wir hatten ja am Freitag keinen großen Krach gehabt. Nur ein paar unfreundliche Worte. Wir hatten Schlimmeres erlebt, glauben Sie mir. Als er morgens nicht da war, fing ich wirklich an zu fürchten, dass etwas nicht in Ordnung war.«
    »Was haben Sie getan?«
    »Ich hab Misha etwas zu essen gegeben, sie angezogen und zu ihrer Freundin Lauren gebracht. Dann bin ich durch den Wald zu Andys Hütte gegangen. Aber dort war niemand. Und dann erinnerte ich mich, dass Mick gesagt hatte, Andy würde, solange er krankgeschrieben war, für ein paar Tage weggehen, hinauf in die Highlands. Um mal ganz abzuschalten und einen klaren Kopf zu bekommen. Natürlich war er also nicht da. Und da fing ich an, wirklich Angst zu kriegen. Was wäre, wenn er einen Unfall gehabt hatte? Was, wenn er krank war?« Die Erinnerung war immer noch so stark, dass sie Jenny beunruhigte. Ihre Finger zupften unablässig am Saum ihrer Kittelschürze.
    »Ich ging zur Wohlfahrt, um mit den Gewerkschaftsvertretern zu reden. Ich dachte, wenn irgendjemand wusste, wo Mick war, dann wären sie es. Oder sie würden zumindest wissen, wo ich zuerst suchen sollte.« Sie sah starr zu Boden und hielt die Hände auf dem Schoß gefaltet. »Da fing mein Leben tatsächlich an, aus dem Ruder zu laufen.«

[home]
Samstag, 15. Dezember 1984,
Newton of Wemyss
    S ogar schon morgens, wenn noch nicht viele Leute da waren und es aufheizten, war es im Wohlfahrtszentrum der Bergarbeiter wärmer als bei ihr zu Hause, stellte Jenny fest, als sie eintrat. Nicht viel, aber doch ausreichend, dass man es wahrnahm. Solche Dinge hätte sie normalerweise nicht bemerkt, aber heute versuchte sie, an alles andere zu denken als an das Verschwinden ihres Mannes. Sie stand einen Moment zögernd in der Eingangshalle und versuchte sich zu entscheiden, wo sie hingehen sollte. Sie erinnerte sich undeutlich, dass die Streikbüros der Bergarbeitergewerkschaft oben waren, und ging auf die verschnörkelte, geschnitzte Treppe zu. Ab dem ersten Treppenabsatz wurde alles sehr viel einfacher. Sie brauchte nur dem leisen Stimmengemurmel und der vorbeiziehenden dünnen Wolke Zigarettenrauch zu folgen.
    Ein paar Meter den Flur entlang stand eine Tür halb offen, hier war die Quelle des Gemurmels und Rauchgeruchs. Jenny klopfte nervös an, und im Raum wurde es still. Schließlich sagte eine Stimme vorsichtig: »Herein.«
    Sie schlüpfte hinein wie eine Kirchenmaus. Der Raum wurde von einem U-förmigen Tisch beherrscht, auf dem ein kariertes Wachstuch lag. Ein halbes Dutzend Männer saßen lässig in verschiedenen Stadien der Mutlosigkeit darum herum. Jenny zögerte, als ihr klar wurde, dass der Mann am Kopfende jemand war, den sie schon einmal gesehen hatte, aber nicht persönlich kannte. Mick McGahey, ehemaliger Kommunist, Führer der schottischen Bergleute. Der einzige Mann, der sich, wie man hörte, gegenüber König Arthur behaupten und erreichen konnte, dass er ihm zuhörte. Der Mann, der von seinem Vorgänger absichtlich von der Führungsspitze ferngehalten worden war. Hätte Jenny jedes Mal ein Pfund erhalten, wenn sie jemanden hatte sagen hören, dass alles anders wäre, wenn McGahey das Sagen hätte, dann wäre ihre Familie die bestgenährte und -gekleidete in Newton of Wemyss gewesen. »Entschuldigung«, stotterte sie. »Ich wollte nur kurz …« Ihr Blick schweifte im Raum umher, und sie fragte sich, auf welchen der ihr bekannten Männer sie sich wohl am besten konzentrieren sollte.
    »Schon gut, Jenny«, meinte Ben Reekie. »Wir hatten nur eine kurze Besprechung und sind eigentlich fertig, oder, Kumpels?« Es folgte ein unzufriedenes, gleichwohl zustimmendes Gemurmel. Aber Reekie, der Sekretär der Ortsgruppe, konnte die Stimmung einer Sitzung gut einschätzen und die Dinge vorantreiben. »Also, Jenny, wie kann ich dir helfen?«
    Sie wünschte, sie wären unter sich, hatte aber nicht den Mut, darum zu bitten. Die

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