Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
Ihnen was. Ich nahm an, er und Andy wären miteinander weggegangen. Ich dachte, sie hätten beide die Schnauze voll gehabt, wären abgehauen und hätten woanders von vorn angefangen. Ein ganz neuer Anfang und so weiter.«
    Mark erinnerte sich an den Namen von Prentice’ Freund aus den Unterlagen über den Fall. Aber es war dort nicht erwähnt worden, dass sie vielleicht Newton zusammen verlassen hätten. »Wohin wären sie wohl gegangen? Wie konnten sie einfach verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen?«
    Maclean tippte seitlich an seine Nase. »Andy war Kommunist, wissen Sie. Und damals war die Zeit, als Lech Wałesa und Solidarność in Polen groß herauskamen. Ich hab immer gedacht, dass die zwei dorthin abgehauen sind. Es gibt jede Menge Zechen in Polen, und es wäre einem nicht wie Streikbrechen vorgekommen. Auf keinen Fall.«
    »Polen?« Mark kam sich vor, als hätte er einen Intensivkurs in politischer Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nötig.
    »Sie haben versucht, den totalitären Kommunismus umzustürzen«, erklärte Otitoju knapp. »Um ihn durch eine Art Arbeitersozialismus zu ersetzen.«
    Maclean nickte. »Das wäre genau Andys Sache gewesen. Ich hab vermutet, dass er Mick überredet hat, mit ihm zu gehen. Das würde erklären, wieso niemand etwas von ihnen gehört hat. Sie steckten als Bergleute hinter dem Eisernen Vorhang fest.«
    »Ist aber schon eine Weile eingemottet, der Eiserne Vorhang«, meinte Mark.
    »Ja, aber wer weiß, was für ein Leben sie sich da drüben aufgebaut haben? Könnte sein, dass er verheiratet ist und Kinder hat, er könnte die Vergangenheit einfach hinter sich gelassen haben. Wenn Mick eine neue Familie hätte, würde er nicht wollen, dass die alte aus der Versenkung auftaucht, oder?«
    Plötzlich hatte Mark einen dieser hellsichtigen Momente, in denen er zwischen den Bäumen tatsächlich den Wald sah. »Sie waren es, der das Geld geschickt hat, oder? Sie haben Scheine in ein Kuvert gesteckt und es Jenny Prentice zukommen lassen, weil Sie dachten, Mick würde ihr aus Polen kein Geld schicken.«
    Maclean schien gegen die lichtdurchlässige Plastikwand zurückzuzucken. Sein Gesicht verzog sich so sehr, dass man kaum noch seine hellen blauen Augen sehen konnte. »Ich wollte nur helfen. Seit ich hier runterkam, geht’s mir gut. Jenny hat mir immer leidgetan. Es kam mir vor, als hätte sie alles Pech abbekommen, weil Mick nicht den Mut hatte, zu seinen Überzeugungen zu stehen.«
    Es schien seltsam, es so auszudrücken, dachte Mark. Er hätte es dabei belassen können; es war schließlich nicht sein Fall, und er brauchte den Ärger nicht unbedingt, der ihm aus einem vorher nicht weiterverfolgten Gedanken entstehen konnte. Aber andererseits wollte er seine zeitweilige Versetzung so gut wie möglich nutzen. Er wollte die Stelle als Durchläufer zu einer permanenten Überstellung zur Kripo ausbauen. Noch etwas tiefer zu bohren gehörte also auf jeden Fall zu seinem Plan. »Gibt es da noch etwas, das Sie uns verschweigen, Iain?«, fragte er. »Hatte Mick irgendeinen anderen Grund, ohne ein Wort zu verschwinden?«
    Maclean trank seinen Kaffee aus und stellte den Becher ab. Er presste seine von einem ganzen Leben harter körperlicher Arbeit außergewöhnlich großen Hände gegeneinander und ließ wieder locker. Er sah aus wie jemand, dem das, was in seinem Kopf vorging, nicht wohltat. Er holte tief Luft und sagte: »Ich nehme an, es ist jetzt egal. Man kann von jemand nicht verlangen, übers Grab hinaus zu bezahlen.«
    Otitoju wollte Macleans Schweigen gerade unterbrechen, als Mark sie warnend am Arm fasste. Sie hielt inne, ihr Mund presste sich zu einer dünnen Linie zusammen, und sie warteten.
    Schließlich begann Maclean zu sprechen. »Ich hab das noch nie jemand erzählt. Aber zu schweigen hat ja nichts gebracht. Sie müssen verstehen, dass Mick ein großer Anhänger der Gewerkschaft war. Und Andy war natürlich Vollzeit-Gewerkschaftsfunktionär. Er stand auf gutem Fuß mit den anderen und war mit den Spitzenleuten vertraut. Ich hab keinen Zweifel, dass Andy Mick vieles erzählt hatte, was er ihm vielleicht nicht hätte sagen sollen.« Er lächelte schwach. »Er wollte bei Mick immer Eindruck machen, sein bester Freund sein. Wir waren in der Schule alle in der gleichen Klasse gewesen. Wir drei sind oft zusammen losgezogen. Aber Sie wissen ja, wie es mit Dreiergruppen ist. Es gibt immer einen Anführer, die anderen beiden versuchen, sich gut mit ihm zu stellen, und wollen

Weitere Kostenlose Bücher