Nacht unter Tag
anderer Untersuchungen, an denen wir arbeiten, heute Nachmittag in meinem Büro sein. Also, wenn Sie uns entschuldigen würden?« Sie stand auf und bemerkte den vorsichtig amüsierten Ausdruck bei Lady Grant und zugeknöpftes Missfallen bei Susan Charleson. Grant selbst stand noch immer unbeweglich wie eine Statue da.
»Schon gut, Susan, ich werde die Herrschaften hinausbegleiten«, erbot sich Lady Grant, sprang auf und schritt auf die Tür zu, bevor die andere Frau ihre Fassung wiedergewonnen hatte.
Als sie ihr den Flur entlang folgten, sagte Karen: »Diese Sache ist bestimmt nicht leicht für Sie.«
Lady Grant drehte sich halb um und ging mit der Sicherheit dessen, der jeden Zentimeter des Territoriums kennt, rückwärts weiter. »Warum vermuten Sie das?«
»Zuzusehen, wie Ihr Mann eine so schreckliche Zeit noch einmal durchlebt. Ich würde nicht gern zuschauen, wie jemand, den ich mag, dies durchmacht.«
Lady Grant schien verwundert. »Er lebt jeden Tag damit, Inspector. Er macht vielleicht nicht den Eindruck, aber er denkt viel daran. Manchmal ertappe ich ihn dabei, wie er unseren Sohn Alec anschaut, und weiß, dass er darüber nachdenkt, wie es mit Adam hätte sein können. Und über das, was er verloren hat. Etwas Neues zu haben, auf das er sich konzentrieren kann, ist für ihn fast eine Erleichterung.« Sie drehte sich auf den Zehen um und wandte ihnen wieder den Rücken zu. Während sie ihr folgten, sah Karen Phil an und war überrascht von dem Zorn in seinem Blick.
»Aber trotzdem wäre es doch nur menschlich, wenn Sie ein bisschen hoffen würden, dass wir Adam nicht lebend und wohlauf wiederfinden«, bemerkte Phil, wobei der leichte Tonfall nicht zu seinem düsteren Gesichtsausdruck passte.
Lady Grant blieb abrupt stehen, wirbelte mit zusammengezogenen Augenbrauen herum, und vom Hals stieg ihr die Röte ins Gesicht. »Was zum Teufel meinen Sie damit?«
»Ich glaube, Sie wissen genau, was ich meine, Lady Grant. Wenn wir Adam finden, ist Ihr Sohn Alec plötzlich nicht mehr Brodies Alleinerbe«, antwortete Phil. Man brauchte Mut, dachte Karen, bei der Ermittlung die Rolle des Blitzableiters zu übernehmen.
Einen Moment schien es, als wolle Lady Grant ihn ohrfeigen. Karen sah, wie sich ihre Brust in dem Bemühen um Gefasstheit hob und senkte. Endlich zwang sie sich wieder zu der vertrauten Pose der Höflichkeit. »Sie betrachten die Sache eigentlich genau von der falschen Seite«, entgegnete sie knapp und schnippisch. »Brodies absolute Entschlossenheit, das Schicksal seines Enkels aufzuklären, lässt mich Alecs Zukunft mit Zuversicht entgegensehen. Ein Mann mit einer so starken Verpflichtung gegenüber seinem eigenen Fleisch und Blut wird unseren Sohn niemals im Stich lassen. Ob Sie es glauben oder nicht, Sergeant, Brodies Suche nach der Wahrheit gibt mir Hoffnung und macht mir keine Angst.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zur Haustür, die sie für die beiden Polizisten demonstrativ offen hielt.
Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, forderte Karen: »Mensch, Phil, sag mir jetzt mal, was du wirklich denkst. Wie bist du darauf gekommen?«
»Tut mir leid.« Er öffnete ihr die Beifahrertür, eine kleine Höflichkeit, zu der er sich selten aufraffte. »Ich hatte einfach genug von diesem Miss-Marple-Spiel. All dieser Mist vom Mord im Landhaus. Blutleer und gesittet. Ich wollte nur sehen, ob sich eine ehrliche Reaktion herauskitzeln ließe.«
Karen grinste. »Ich glaube, man kann mit Sicherheit sagen, dass dir das gelungen ist. Ich hoffe nur, dass wir nicht unter den Nachwirkungen begraben werden.«
Phil lachte. »Du bist ja auch nicht übel, wenn es darum geht, sich knallhart zu geben. ›Dies ist meine Ermittlung‹«, äffte er sie, jedoch nicht lieblos, nach.
Sie setzte sich im Wagen zurecht. »Na ja, gut. Die Illusion, das Heft in der Hand zu behalten. Ganz nett, solange es anhält.«
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Nottingham
D ie Schönheiten des Nottinghamer Arboretums waren nicht nur eingeschränkt, sondern vielmehr in dem starken Regenguss gar nicht zu erkennen, als DC Mark Hall fast blind hinter Femi Otitoju auf dem Pfad zum chinesischen Glockenturm hertrabte. Endlich hatte sie Gefühle gezeigt, aber nicht gerade die, die Mark sich erhofft hatte.
Logan Laidlaw war sogar noch weniger erfreut gewesen als Ferguson und Fraser, sie zu sehen. Er hatte sich nicht nur geweigert, sie überhaupt in die Wohnung zu lassen, sondern ihnen auch gesagt, er hätte nicht die Absicht, noch einmal zu
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