Nacht unter Tag
Kaffee herüber und gab sich fast übertriebene Mühe, nichts zu verschütten. »Um ehrlich zu sein, außer den Höhlen hatten wir nicht viel gemeinsam. Ich hielt ihn aber für einen talentierten Maler. Wir ermutigten ihn alle, die Höhlen von außen und innen zu malen. Eine künstlerische Bestandsaufnahme schien angebracht, da der Ruhm der Höhlen hauptsächlich auf den piktischen Bildern beruht. Manche der besten sind hier in Thane’s Cave.« Er nahm seine Taschenlampe und richtete sie auf eine bestimmte Stelle an der Wand. Er musste nicht lange suchen. Direkt vom Lichtschein angestrahlt, konnte man die Umrisse eines Fisches mit dem Schwanz nach unten erkennen, der in den Felsen geritzt war. Der Reihe nach zeigte er ein laufendes Pferd und etwas, das ein Hund oder ein Hirsch hätte sein können. »Im Herbst fünfundachtzig haben wir durch den Einsturz einige der ausgekerbten Bilder verloren, aber glücklicherweise hatte Mick sie nicht lange davor gemalt.«
»Wo war der Einsturz?«, erkundigte sich Phil und schaute zum hinteren Teil der Höhle.
Haigh führte sie zur entferntesten Ecke, wo ein wildes Durcheinander von Felsbrocken fast bis zur Decke aufgehäuft lag. »Es gab eine kleine zweite Kammer, die durch einen kurzen Gang mit dieser hier verbunden war.« Phil trat vor, um genauer zu schauen, aber Haigh packte ihn am Arm und riss ihn zurück. »Vorsicht«, warnte er. »Wo es in der Vergangenheit einen Einsturz gegeben hat, können wir nie sicher sein, wie stabil die Decke ist.«
»Sind solche Einbrüche ungewöhnlich?«, wollte Karen wissen.
»Solche großen? Sie sind mit ziemlicher Regelmäßigkeit vorgekommen, als die Michael-Zeche noch in Betrieb war. Aber sie wurde 1967 geschlossen, nachdem …«
»Ich kenne die Michael-Katastrophe, ich bin in Methil aufgewachsen«, unterbrach ihn Karen.
»Natürlich.« Haigh fasste es fast als Vorwurf auf. »Na ja, seit nicht mehr unter Tage gearbeitet wird, hat es in den Höhlen nicht mehr viel Bewegung gegeben. Nach diesem hier haben wir tatsächlich keinen größeren Einsturz mehr erlebt.«
Karen spürte, dass sich ihr detektivischer Instinkt regte. »Wann genau war der Einsturz?«, fragte sie langsam.
Haigh schien überrascht von ihren Fragen und tauschte mit Phil einen Blick unter Männern und Komplizen. »Na ja, wir sind da nicht sicher. Ehrlich gesagt, zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar ist für uns eine ziemlich ruhige Zeit. Weihnachten, Neujahr und so weiter. Die Leute haben zu tun, sind verreist. Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass der Durchgang zumindest am siebten Dezember noch offen war. Eines unserer Mitglieder war an dem Tag hier und hat für einen Antrag auf Beihilfe detaillierte Messungen gemacht. Soweit wir wissen, war ich als nächste Person in der Höhle. Meine Frau hat am vierundzwanzigsten Januar Geburtstag, und Freunde aus England besuchten uns. Ich nahm sie mit, um ihnen die Höhlen zu zeigen, und da habe ich den Einsturz entdeckt. Es war ein ziemlicher Schock. Natürlich habe ich sie sofort rausgebracht und den Gemeinderat angerufen, als wir zurück waren.«
»Die Decke brach also irgendwann zwischen dem siebten Dezember 1984 und dem vierundzwanzigsten Januar 1985 ein?« Karen wollte sicher sein, dass sie es richtig verstanden hatte. In ihrem Kopf fügten sich zwei und zwei zusammen, und sie war ziemlich sicher, dass da nicht fünf rauskam.
»Stimmt. Ich selbst denke allerdings, dass es eher früher als später war«, erklärte Haigh. »Die Luft in der Höhle war sauber. Und das dauert länger, als man vielleicht denken mag. Man könnte sagen, der Staub hatte sich schon ganz und gar gesetzt.«
[home]
Newton of Wemyss
P hil sah Karen besorgt an. Vor ihr stand eine perfekt angerichtete Blätterteigpastete mit Taubenbrust, umgeben von winzigen neuen Kartöffelchen und einem Berg geschmorter kleiner Karotten und Zucchini. Der Laird o’ Wemyss machte seinem Ruf alle Ehre. Aber der Teller stand schon mindestens eine Minute vor Karen, und sie hatte noch nicht einmal das Besteck in die Hand genommen. Statt zuzugreifen, starrte sie mit einer Sorgenfalte zwischen den Augenbrauen ihren Teller an. »Geht’s dir nicht gut?«, fragte er vorsichtig. Manchmal benahmen sich Frauen beim Essen ja merkwürdig und unvorhersehbar.
»Tauben«, sagte sie. »Höhlen. Ich muss immer an diesen Einsturz denken.«
»Was ist damit? Solche Einbrüche passieren in Höhlen eben. Deshalb hängen die Schilder da, um die Leute zu warnen. Und deshalb
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