Nacht unter Tag
Wasser überquert hatte, war die Dämmerung hereingebrochen. Der Pfad zur Hütte war jedoch breit und gut gepflegt, so dass er nicht befürchtete, vom Weg abzukommen.
Als Grant sich näherte, war er überrascht, keine Lichter zu sehen. Wenn Mary an ihren Patchworkdecken arbeitete, benutzte sie eine Batterie von Lampen, die eine Theaterbeleuchtung in den Schatten gestellt hätte. Vielleicht nähte sie nicht. Vielleicht saß sie im Wintergarten im hinteren Teil des Häuschens und beobachtete das letzte Tageslicht am westlichen Himmel. Grant beschleunigte seine Schritte und wollte sich nicht eingestehen, dass die Angst ihre scharfen Krallen in seine Brust schlug.
Die Tür war nicht abgeschlossen und flog auf gutgeölten Scharnieren lautlos auf. Er schaltete das Licht an, und in der Diele war nun alles deutlich erkennbar. »Mary«, rief er. »Ich bin’s.« Die tote Luft schien seine Worte zu verschlucken und zu verhindern, dass sie weiter vordrangen.
Grant ging durch die Diele, warf im Gehen die Türen auf und rief den Namen seiner Frau, während sich seine Kopfhaut in einer Panik anspannte, die ihm Tränen in die Augen trieb. Wo zum Teufel war sie nur? Sie konnte doch nicht draußen sein. So spät noch. Und bei der Kälte.
Er fand sie im Wintergarten. Aber sie schaute sich nicht den Sonnenuntergang an. Mary Grant würde nie wieder den Sonnenuntergang betrachten. Ein paar herumliegende Tabletten und eine leere Wodkaflasche verrieten das Geheimnis ihres Schweigens. Ihre Haut war schon kalt.
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Samstag, 30. Juni 2007,
Newton of Wemyss
B el holte Grant bei den schweren Balken der Pforte ein. Aus der Nähe sah sie, dass in eines der Tore, das groß genug für einen Lieferwagen oder einen großen Pkw war, eine kleinere Tür eingelassen war. Auf der anderen Seite war ein zerfurchter Weg, der tief in den dichten Wald führte.
»Sie hatte einen Brief hinterlassen«, sagte er. »Ich weiß ihn immer noch auswendig. ›Es tut mir so leid, Brodie. Ich kann nicht mehr weiter. Du hast Besseres verdient, und mir wird es nie wieder bessergehen. Ich kann es nicht ertragen, dich in deinem Schmerz zu sehen, und ich kann auch meinen eigenen Schmerz nicht aushalten. Bitte, versuche wieder zu lieben. Ich bete, dass du es kannst.‹« Sein Gesicht verzog sich zu einem bitteren Lächeln. »Judith und Alec. Das heißt, ich tue, was sie mir aufgetragen hat. Haben Sie schon einmal vom Iditarod-Rennen gehört?«
Von dem plötzlichen Themenwechsel überrascht, konnte Bel nur stottern: »Ja. In Alaska. Hundeschlitten.«
»Eine der größten Gefahren, der man dabei begegnen kann, nennt sich Trommeleis. Es passiert Folgendes: Das Wasser unter dem Eis zieht sich zurück und hinterlässt nur eine dünne Haut über einer Luftblase. Von oben sieht es genauso aus wie der Rest des Eisfeldes. Aber wenn man die Stelle belastet, bricht man ein und kommt nicht mehr heraus, weil an den Seiten pures Eis ist. So fühlt es sich manchmal an, dass ich Catriona und Adam verloren habe. Ich weiß nicht, wann der Boden unter meinen Füßen mich nicht mehr tragen wird.« Er räusperte sich und wies auf eine kleine, aus Holz erbaute Scheune, die hinter dem Rand der Baumgruppe hervorsah. »Das war Catrionas Studio und Ausstellungsraum. Damals war es in besserem Zustand. Wenn das Geschäft geöffnet war, stellte sie zwei Reklametafeln an die Straße. Sie ließ das innere Tor offen, so dass die Leute kommen und gehen konnten, aber es war nicht breit genug für Autos. Zum Parken war ja hier draußen genug Platz.« Er deutete auf die große Fläche, wo er den Landrover abgestellt hatte. Das Gespräch über seine erste Frau war offenbar abgeschlossen. Aber er hatte Bel mit dem Bild vom Trommeleis ein tolles Geschenk gemacht. Sie wusste, dass sie daraus etwas Eindrucksvolles erschaffen konnte.
Sie sah sich gründlich am Standort um. »Aber theoretisch hätte der Entführer das Tor weit genug öffnen können, damit er durchfahren konnte? Dann wäre er von der Straße aus nahezu unsichtbar gewesen.«
»Das dachte die Polizei anfangs auch, aber die einzigen Radspuren, die sie fanden, waren die von Catrionas eigenem Wagen. Die Entführer müssen hier draußen geparkt haben, wo der Untergrund fest ist. Jeder, der vorbeifuhr, hätte sie sehen können. Sie gingen ein verdammt großes Risiko ein.«
Bel zuckte mit den Schultern. »Ja und nein. Wenn sie tatsächlich Adam in ihrer Gewalt hatten, dann hätte Cat getan, was man von ihr verlangte.«
Grant nickte. »Selbst
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