Nacht unter Tag
eine so sture Person wie meine Tochter hätte zuerst an ihren Sohn gedacht. Daran habe ich keinen Zweifel.« Er wandte sich ab. »Ich mache mir immer noch Vorwürfe.«
Das schien ihr eine extreme Reaktion zu sein, selbst für einen Kontrollfreak. »Wie meinen Sie das?«, fragte Bel.
»Ich habe mich zu sehr auf die Polizei verlassen. Ich hätte mehr Verantwortung dafür übernehmen sollen, wie die Dinge sich entwickelten. Ich hab’s nicht genug versucht.«
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Mittwoch, 23. Januar 1985,
Rotheswell Castle
W ir wissen schon, was wir tun«, versicherte Lawson. Er klang immer genervter, was Grant nicht gerade mit Vertrauen erfüllte. »Wir können dies heute Nacht zu Ende bringen.«
»Sie sollten das Gelände hier überwachen lassen«, drängte Grant. »Die könnten jetzt schon vor Ort sein.«
»Ich glaube, sie wissen ungefähr, wann die Post bei Ihnen abgegeben wurde«, entgegnete Lawson. »Wenn sie einen Vorsprung vor uns haben wollten, hätten sie sich schon verschanzt, bevor wir die Nachricht mit den Einzelheiten bekamen. Es macht also eigentlich keinen Unterschied.«
Grant starrte auf das Polaroidfoto von diesem Morgen hinunter. Diesmal lag Cat auf der Seite auf einem Bett, und Adam saß mit großen Augen an sie gelehnt. Wieder lieferte die
Daily
Record
den Beweis, dass sie lebten. Zumindest, dass sie am gestrigen Tag noch am Leben waren. »Warum dort?«, fragte er. »Es ist eine so sonderbare Stelle. Man kann sich ja von dort nicht schnell absetzen.«
»Vielleicht haben sie die Stelle gerade deshalb ausgewählt. Wenn die Kidnapper nicht schnell wegkönnen, können Sie das auch nicht. Sie werden ja immer noch eine Geisel haben, die sie als Druckmittel einsetzen können, damit Sie sich fernhalten, bis sie ihr Fahrzeug erreicht haben«, sagte Lawson. Er breitete die detaillierte Landkarte aus, die Rennie gebracht hatte. Der Ort der Übergabe war mit einem roten Kreis gekennzeichnet. »Der Lady’s Rock. Er ist auf halbem Weg zwischen der alten Zeche in East Wemyss und dem östlichen Rand von West Wemyss. Die nächsten Punkte, die sie anfahren können, sind hier, wo der Wald anfängt …« Lawson tippte auf die Karte. »Oder hier. Der Parkplatz bei West Wemyss. Wenn ich sie wäre, würde ich nicht West Wemyss wählen. Es ist weiter von der Hauptverkehrsstraße entfernt. Von dort dauert es ein paar entscheidende Minuten länger, das Straßennetz zu erreichen.«
»Aber man hat mehr Möglichkeiten, wenn man dort ist«, hob Grant hervor. »Richtung Dysart oder Boreland, Richtung Coaltown oder die Check Bar Road runter zum Standing Stone, und dann mehr oder weniger überallhin.«
»Wir haben für alle Möglichkeiten vorgesorgt«, erklärte Lawson.
»Sie dürfen kein Risiko eingehen«, verlangte Grant. »Sie werden das Lösegeld haben. Sie könnten Cat opfern, damit ihre Flucht gelingt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn ich ein Geiselnehmer wäre, der das Lösegeld hat, und ich würde merken, dass Ihre Männer hinter mir her sind, würde ich meine Geisel aus dem Wagen werfen«, erwiderte Grant, wobei er viel gelassener klang, als ihm zumute war. »Und Sie würden natürlich ihretwegen anhalten, wie jeder zivilisierte Mensch das täte. Die Kidnapper wissen das. Sie können es sich leisten, darauf zu setzen.«
»Wir werden vorsichtig sein«, versprach Lawson.
Grant warf frustriert die Hände in die Luft. »Das ist auch nicht die richtige Antwort. Sie können in einer solchen Situation nicht die Sicherheit an die erste Stelle setzen. Sie müssen bereit sein, kalkulierte Risiken einzugehen. Sie müssen sich nach dem Moment richten. Sie dürfen nicht unbeweglich sein. Sie müssen flexibel bleiben. Ich bin nicht nach ganz oben gekommen, weil ich Risiken vermieden habe.«
Lawson warf ihm einen wohlüberlegten Blick zu. »Und wenn ich ein Risiko eingehe, das ich für notwendig halte, und es geht nach hinten los? Werden Sie derjenige sein, der am lautesten schreit, damit mein Kopf rollt?«
Grant schloss einen Moment die Augen. »Natürlich werde ich das«, antwortete er. »Also, ich habe zwei Leben und eine Million Pfund auf diese Karte gesetzt. Sie müssen mich überzeugen, dass Sie Ihre Sache gut machen. Können wir das noch mal durchgehen?«
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Samstag, 30. Juni 2007,
Newton of Wemyss
I ch wusste, dass ich sie im Stich gelassen hatte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich es schon.« Grant stieß einen tiefen Seufzer aus. »Trotzdem glaubte ich, dass sich jemand melden würde, auch wenn alles schiefginge. Dass
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