Nacht unter Tag
fasziniert von den Einblicken, die er ihr gewährte, den unfreiwilligen genauso wie den absichtlichen. »Und Sie? Ist der Neid auf Sie letztlich auch eine Ironie?«
Grant drehte sich auf dem Absatz um und sah sie finster an. »Ich dachte, Sie hätten recherchiert?«
»Das habe ich. Ich weiß, dass Sie aus einer kleinen Bergbausiedlung in Kelty stammen. Dass Sie Ihr Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut haben. Aber hier und da finden sich in den Zeitungsausschnitten klare Hinweise, dass Ihre Heirat Ihrem kometenhaften Aufstieg nicht unbedingt geschadet hat.« Bel wusste, dass sie mit dem Feuer spielte, aber wenn sie etwas aus dieser einzigartigen Nähe zu ihm machen und zu etwas ausbauen wollte, das ihre Karriere beeinflusste, musste sie unter die Oberfläche vordringen zu den Dingen, die niemand anders je vermutet und schon gar nicht ergründet hatte.
Grants schwere Augenbrauen zogen sich für einen Moment zusammen, und sein finsterer Blick ließ sie fürchten, der vernichtende Sturm seines Zorns würde sie überrollen. Aber dann änderte sich etwas an seinem Gesichtsausdruck. Sie sah, dass es ihm Mühe machte, aber er schaffte ein kurzes Lächeln und zuckte mit den Schultern. »Ja, Marys Vater hatte Macht und Einfluss in Bereichen, die für den Aufbau meines Geschäfts sehr wichtig waren.« Er breitete die Arme mit einer Geste aus, die hilflos wirkte. »Und ja, dass ich sie heiratete, hat mir in beruflicher Hinsicht nur Gutes gebracht. Aber es ist doch so, Bel: Meine Mary war klug genug, zu wissen, dass sie unglücklich sein würde, wenn sie einen Mann heiratete, der sie nicht liebte. Und deshalb wählte sie mich.« Sein Lächeln verschwand langsam. »Ich hatte in der Sache keine Wahl. Und ich hatte auch keine Wahl, als sie sich entschloss, mich zu verlassen.« Schnell wandte er sich ab und schritt auf das schwere Tor zu.
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Freitag, 23. Januar 1987,
Eilean Dearg
S ie verbrachten dieser Tage so wenig Zeit miteinander. Der Gedanke hatte Grant die ganze Woche bei jedem Essen geplagt, das er auf Rotheswell eingenommen hatte. Frühstück ohne sie. Lunch ohne sie. Abendessen ohne sie. Gäste waren da gewesen, Geschäftsfreunde, Politiker und natürlich Susan. Aber Mary war nicht dabei gewesen. Die Zeit ohne sie hatte diese Woche eine kritische Dimension erreicht. Er konnte mit dieser Distanz zwischen ihnen nicht weitermachen. Er brauchte sie jetzt so sehr wie eh und je. Nichts machte Cats Tod leichter, aber Mary machte ihn erträglich. Und jetzt ihre Abwesenheit, ausgerechnet heute, das war nicht auszuhalten.
Sie war am Montag weggefahren und hatte gesagt, sie müsse allein sein.
Auf der Insel würde sie den Frieden finden, den sie suchte. Dort war kein Personal. Man brauchte nur zwanzig Minuten, um die Insel einmal ganz zu umrunden, aber zwei Meilen draußen im Meer fühlte es sich an, als sei man weit von allem und allen entfernt. Grant war genauso gern dort, um nachzudenken wie zum Angeln. Mary ließ ihm das Vergnügen und stieß nur gelegentlich dazu. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals allein dorthin gegangen war. Aber sie hatte hartnäckig darauf bestanden.
Natürlich gab es kein Telefon. Sie hatte ein Autotelefon, aber der Wagen würde auf dem Hotelparkplatz auf der Insel Mull eine halbe Meile vom Landungssteg entfernt stehen. Und außerdem hätte man in der Wildnis der Hebriden mit einem Autotelefon kein Signal empfangen können. Seit ihrem Abschied am Montag hatte er ihre Stimme nicht mehr gehört.
Und jetzt hatte er genug von der Stille. Zwei Jahre auf den Tag, dass seine Tochter gestorben und sein Enkel verschwunden war, da wollte Grant mit seinem Schmerz nicht allein sein. Er versuchte wegen der Dinge, die schiefgelaufen waren, nicht zu streng mit sich zu sein, aber das Schuldbewusstsein hatte seinem Herzen trotzdem Narben beigebracht. Manchmal fragte er sich, ob auch Mary ihm die Schuld gab und sich deshalb so oft fernhielt. Er hatte versucht, ihr zu sagen, dass nur die Leute, die Catriona entführten, die Verantwortung für ihren Tod tragen sollten. Aber er konnte kaum sich selbst überzeugen, geschweige denn sie.
Nach einem zeitigen Frühstück und einem Anruf im Hotel, man möge dafür sorgen, dass jemand da war, der ihn zu seiner Insel bringen konnte, hatte er sich aufgemacht. Zweimal hatte er anhalten müssen, als der Kummer, der ihm in der Kehle saß, ihn zu überwältigen drohte. Er war angekommen, als noch ein schwacher Streifen Tageslicht am Himmel hing, aber bis er das
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