Nacht unter Tag
hier sein sollen? Er war ein Freund der Familie und sehr großzügig zu uns während des Streiks.« Jennys Mund schnappte zu wie eine Mausefalle.
»Was wollen Sie damit andeuten, Inspector?« Misha klang ehrlich verwundert.
»Ich will gar nichts andeuten. Ich frage Jenny nur, warum sie nicht erwähnt hat, dass Campbell an jenem Tag hergekommen war.«
»Weil es nichts zu sagen hatte«, erklärte Jenny.
»Wie lange nach Micks Verschwinden war es, als Sie und Tom eine Beziehung eingingen?« Die Frage hing im Raum neben den Staubpartikeln, die die Luft bevölkerten.
»Sie haben eine sehr schmutzige Phantasie«, versetzte Jenny.
Karen zuckte mit den Schultern. »Es ist aktenkundig, dass er hier einzog. Dass Sie als Familie zusammenlebten. Dass er in seinem Testament alles Misha hinterließ. Ich frage nur, wie viel Zeit verging zwischen Micks Verschwinden und Toms Einzug.«
Jenny warf ihrer Tochter einen kurzen Blick zu, aus dem sich nichts entnehmen ließ. »Tom war ein guter Mann. Sie haben kein Recht, hierherzukommen mit Ihren Andeutungen und Verleumdungen. Der Mann war frisch verwitwet. Seine Frau war meine beste Freundin gewesen. Er brauchte Freunde um sich. Und er war Steiger, so dass die meisten Männer nichts von ihm wissen wollten.«
»Ich bestreite all das nicht«, sagte Karen. »Ich versuche nur, die Fakten abzuklären. Es hilft mir nicht bei der Suche nach Mick, wenn Sie mir nicht die ganze Geschichte erzählen. Also – wie lange dauerte es, bis Tom und Sie von Freundschaft zu Beziehung wechselten?«
Misha stieß einen ungeduldigen Laut aus. »Sag ihr doch, was sie wissen will, Mum. Sie wird es sonst nur von jemand anderem hören. Es ist besser, wenn es von dir kommt als von den Waschweibern des Orts.«
Jenny starrte auf ihre Füße und musterte eingehend ihre abgenutzten Hausschuhe, die an den Zehen fast durchgestoßen waren, als wäre die Antwort dort zu lesen und sie hätte nur die falsche Brille auf. »Wir waren beide einsam und beide verlassen worden, so kam es uns vor. Und er war gut zu uns, sehr gut.« Eine lange Pause trat ein, dann streckte Misha die Hand aus und legte sie auf die geballte Faust ihrer Mutter. »Ich nahm ihn genau sechs Wochen nach dem Tag, an dem Mick uns verließ, ins Bett. Wir hätten gehungert, wenn Tom nicht gewesen wäre. Wir suchten beide Trost.«
»Daran ist nichts Schlimmes.« Die sanften Worte kamen überraschenderweise von Phil. »Wir sind nicht hier, um Urteile zu fällen.«
Jenny nickte ganz schwach. »Er zog im Mai bei uns ein.«
»Und er war ein sehr guter Stiefvater«, ergänzte Misha. »Er hätte seine Sache nicht besser machen können, wenn er mein wirklicher Vater gewesen wäre. Ich hatte Tom sehr lieb.«
»Wir hatten ihn beide gern«, sagte Jenny. Karen konnte nicht umhin, zu denken, dass sie genauso sehr versuchte, sich selbst zu überzeugen, wie die anderen. Sie erinnerte sich an Mrs.McGillivrays Behauptung, dass Jenny Prentice’ Herz immer nur Mick gehört hätte.
»Haben Sie sich jemals gefragt, ob Tom etwas damit zu tun hatte, dass Mick wegging?«
Jenny warf den Kopf in den Nacken und funkelte Karen an. »Was zum Teufel soll das heißen? Meinen Sie, dass Tom Mick etwas angetan hat? Sie meinen, dass er Mick beseitigte?«
»Sagen Sie mir’s. Hat er das?« Karen war in gleichem Maße unerbittlich wie Jenny aufgebracht.
»Da sind Sie auf dem Holzweg«, widersprach Misha mit lauter und trotziger Stimme. »Tom hätte keiner Fliege etwas getan.«
»Ich habe nichts davon gesagt, dass Campbell Mick Schaden zugefügt haben könnte. Aber ich finde es äußerst interessant, dass Sie beide sehr schnell vermuteten, dass ich das meinte«, bemerkte Karen. Jenny sah verwirrt aus, Misha wütend. »Ich habe mich gefragt, ob Mick klar war, dass es eine Verbindung zwischen Ihnen und Tom gab. Nach dem, was ich höre, war er ein stolzer Mann. Vielleicht hat er beschlossen, dass es das Beste für alle wäre, wenn er das Feld räumte für einen Mann, den Sie zu bevorzugen schienen.«
»Sie reden den reinsten Blödsinn« zischte Jenny. »Es lief damals nichts zwischen mir und Tom.«
»Nein? Na ja, vielleicht meinte Tom, dass etwas laufen würde, wenn er Mick entfernen konnte. Er hatte genug Geld. Vielleicht hat er Mick bestochen.« Es war eine empörende Unterstellung, das wusste sie. Aber Empörung brachte oft interessante Resultate.
Jenny zog ihre Hand unter Mishas zurück und rutschte von ihrer Tochter weg. »Das ist deine Schuld«, schrie sie ihre Tochter
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