Nacht unter Tag
hielt, eine Scheißhöhle aufzugraben?
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Campora, Toskana
M it einem Gefühl der Erleichterung bog Bel Richmond von der SS 2 ab, der heimtückischen Schnellstraße, die sich zwischen Florenz und Siena durch die Toskana schlängelte. Wie gewöhnlich hatten die italienischen Autofahrer ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, wenn sie zu schnell und zu nah an ihr vorbeischossen, so dass sich in den scharfen Kurven, die die schmalen Fahrbahnen noch enger erscheinen ließen, die Außenspiegel fast berührten. Die Tatsache, dass sie einen Leihwagen fuhr, machte die unangenehme Situation nur noch schlimmer. Bel hielt sich für eine ziemlich gute Fahrerin, aber in Italien lagen ihre Nerven unweigerlich blank.
Und dank ihres neuesten Auftrags fühlte sie sich sowieso schon ausreichend genervt.
Am Sonntagabend hatte sie in ihrem Zimmer gegessen – ihre eigene Entscheidung. Denn sie war eingeladen gewesen, mit den Grants im Esszimmer zu speisen, hatte aber Zeitdruck wegen ihrer Arbeit vorgeschützt. In Wirklichkeit gab es einen banaleren Grund, aber weil er so egoistisch war, konnte sie ihn nicht zugeben. Tatsächlich sehnte sich Bel danach, allein zu sein. Sie wollte am Fenster die roten Marlboros rauchen, die sie vor einigen Monaten nach Viviannes ewigen Ermahnungen angeblich aufgegeben hatte. Sie wollte sich irgendeinen Schrott in der Glotze anschauen und mit einer ihrer Freundinnen telefonieren, deren Getratsche ihr so guttat. Am liebsten wäre sie weggelaufen, nach Haus, um mit Harry auf der Playstation irgendein Ballerspiel zu spielen. Es war immer das Gleiche, wenn sie mit den Objekten ihres journalistischen Interesses auf engem Raum zusammenlebte. Sie konnte nur ein bestimmtes Maß an Nähe ertragen.
Aber ihr Spaß am Alleinsein hielt nicht lange an. Sie hatte gerade angefangen, sich die erste Folge einer neuen amerikanischen Krimiserie anzusehen, als es klopfte. Bel drehte die Lautstärke herunter, stellte ihr Glas Wein ab und stand von der Couch auf. Sie machte die Tür auf und sah Susan Charleson mit einem dünnen Plastikordner in der Hand vor sich. »Es tut mir leid, wenn ich störe«, sagte sie. »Aber ich fürchte, dies hier ist ziemlich dringend.«
Bel verbarg die üble Laune, die in ihr aufstieg, trat zurück und forderte sie mit einer Handbewegung auf, einzutreten. »Kommen Sie rein«, seufzte sie.
»Darf ich?« Susan wies auf die Couch.
»Machen Sie es sich bequem.« Bel setzte sich ans andere Ende des Sofas und ließ so viel Platz wie möglich zwischen ihnen. Sie hatte keine Zuneigung zu Susan Charleson gefasst. Hinter der kühlen Effizienz war nichts, an dem sie sich festhalten konnte, keine schwesterliche Warmherzigkeit, auf der man eine verschwörerische Freundschaft hätte aufbauen können. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Susan legte den Kopf schräg und setzte ein kurzes ironisches Lächeln auf. »Sie haben ja bestimmt bemerkt, dass Sir Broderick zu schnellen Entscheidungen neigt und erwartet, dass alle anderen sie umsetzen.«
»So kann man es auch sagen«, meinte Bel.
Gewöhnt, seinen Kopf durchzusetzen,
wäre vielleicht eine bessere Definition. »Was hat er also beschlossen, was braucht er von mir?«
»Sie reagieren ja auch ganz schön schnell«, stellte Susan fest. »Wahrscheinlich mag er Sie deshalb.« Sie warf Bel einen wohlüberlegten Blick zu. »Er mag nicht viele Leute. Wenn er jedoch jemanden schätzt, dann belohnt er uns sehr großzügig.«
Schmeichelei und Bestechung, die krummen Zwillinge. Dem Himmel sei Dank, dass sie in ihrer Karriere einen Punkt erreicht hatte, wo sie über die Runden kam, ohne deren vergiftete Geschenke annehmen zu müssen. »Ich befasse mich mit den Dingen, weil sie mich interessieren. Wenn sie mich langweilen, arbeite ich nicht gut, und dann ist es eigentlich sinnlos.«
»Na schön. Er möchte, dass Sie nach Italien fahren.«
Was immer sie erwartet hatte, das jedenfalls nicht. »Warum?«
»Weil er meint, dass die italienische Polizei sich nicht allzu viel von diesem Fall verspricht, und deshalb werden sie nicht sehr hart daran arbeiten. Wenn DI Pirie dorthin fährt oder einen von ihrem Team schickt, wird sie durch die Sprachbarriere und dadurch behindert sein, dass sie dort fremd ist. Er meint, Sie könnten es besser machen, weil Sie Italienisch sprechen. Dazu kommt die Tatsache, dass Sie gerade von dort zurückkommen und vermutlich in letzter Zeit mit den Einheimischen Kontakt hatten. Natürlich nicht mit der Polizei. Aber mit den Leuten, die
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