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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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vorbei, dann wurde er langsamer und hielt an.
    Ich machte mir keine großen Sorgen deswegen. So was war eher ärgerlich als gefährlich. Bestimmt war es bloß einer, der auf eine schnelle Nummer hoffte.
    Ich marschierte weiter, als hätte ich nichts bemerkt.
    Als ich an dem Auto vorbeiging, öffnete sich die Beifahrertür.
    Ohne einen Blick ins Innere des Wagens zu werfen, wollte ich um die Tür herumgehen, als eine Männerstimme mich ansprach.
    »Alice?«
    Der Typ kannte meinen Namen!
    Ich kam mir plötzlich so vor, als stünde ich in der Mitte eines riesigen, zugefrorenen Sees und hörte auf einmal das Eis unter mir knacken.
    Das klingt nicht gut!
    Ich blieb stehen, bückte mich und sah in den Wagen. Der Beifahrersitz war leer, und der Mann, der auf dem Fahrersitz saß, kam mir irgendwie bekannt vor, aber … Und dann wusste ich auf einmal, wer er war, und der See gefror augenblicklich wieder zu einer soliden, tragfähigen Eisfläche.
    Ich war so erleichtert, dass ich mich fast freute, ihn zu sehen.
    »Elroy?«, fragte ich. »Bist du’s?«
    »Na klar doch, wer denn sonst?«
    Der gute, alte Elroy.
    »Steig ein, bei mir ist Platz für zwei.«
    »Nimmst du mich ein Stück mit?«
    »Hätte ich sonst angehalten?«
    Ich nahm den Rucksack von den Schultern und stieg in Elroys Wagen.
    »Das ist sehr nett von dir«, sagte ich, nachdem ich die Tür zugezogen hatte.
    »Du kennst mich doch, Alice. Ich bin die Nettigkeit in Person.«
    Für mich war er eigentlich immer die Blödheit in Person, aber das habe ich ihm nie ins Gesicht gesagt.
    Vor ein paar Jahren hatten wir zusammen in einer Anwaltskanzlei gejobbt. Wir waren beide im Sekretariat gewesen, und obwohl er mir furchtbar auf den Geist gegangen war, hatte ich ihn immer fair behandelt. Elroy wiederum hatte mich sehr gut leiden können.
    »Schnall dich bitte an«, sagte er.
    Weil ich wusste, dass er sonst vermutlich nicht losfahren würde, tat ich, was er von mir verlangte.
    »Ich habe geglaubt, ich spinne, als ich dich da gehen sah«, sagte Elroy, während er in den Seitenspiegel schaute. »>Elroy<, habe ich mir gesagt, >diese Frau hat verdammt viel Ähnlichkeit mit unserer Alice. Ist das denn die Möglichkeit?< Und dann bin ich an dir vorbeigefahren und habe dich genauer angesehen, und tatsächlich, du warst es.« Er fand eine Lücke im Verkehr und fuhr langsam los.
    »Ich freue mich ja so, dass ich dich getroffen habe. Du siehst einfach fantastisch aus.«
    »Danke«, sagte ich. »Du aber auch.«
    Okay, ich bin eine Lügnerin.
    Mag sein, dass Elroy irgendwelche Qualitäten hatte, aber fantastisches Aussehen gehörte mit Sicherheit nicht dazu. Er war ein magerer kleiner Bursche mit an den Kopf geklatschtem, schwarzem Haar, großen Ohren und einer langen, spitzen Nase, die ihm irgendwie das Aussehen einer Ratte verlieh. Einer gepflegten Ratte, immerhin, denn Elroy trug fast immer ein makellos sauberes weißes Hemd und eine blaue Fliege. Seit unserer letzten Begegnung hatten weder er noch sein Aussehen sich gravierend verändert.
    »Du fehlst uns im Büro, weißt du das?«, fragte er.
    »Wirklich? Wieso habt ihr mich dann gefeuert?«
    »Ich habe dich nicht gefeuert.«
    »Das ist richtig.«

    »Du hast dort immer für so viel Fröhlichkeit gesorgt.«
    »Mit meinem zwanghaftem Charme …«
    »Die anderen Frauen dort sind alle eingebildete Ziegen, aber du warst immer nett zu mir.«
    »Freut mich, dass du es so siehst …«
    »Ich bin wirklich froh, dass ich dich getroffen habe. Ich kann es kaum glauben. Wolltest du denn nicht von hier wegziehen?«
    »Hat nicht geklappt«, sagte ich.
    »Ich dachte, jemand hätte mir erzählt, du würdest jetzt in El Paso leben.«
    »Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens.«
    »Wohnst du dann immer noch über der Garage?«
    »Richtig. Aber das darfst du im Büro nicht herumerzählen.«
    Er lächelte mich verschmitzt an und sagte: »Ich werde schweigen wie ein Grab.«
    »Danke. Es ist mir ganz recht, wenn die glauben, dass ich in El Paso bin.«
    »Es wird immer unser Geheimnis bleiben.«
    »Was macht übrigens mein alter Freund Mr. Heflin?«, fragte ich.
    »Der verhält sich jetzt den Frauen gegenüber sehr korrekt. Behält seine Hände hübsch bei sich, so wie sich das gehört.«
    »Freut mich zu hören. Und wie geht es ihm sonst?«
    »Er meidet Treppenhäuser und fährt fast immer mit dem Aufzug.«
    »Ist er denn wieder völlig auf dem Damm?«
    »Völlig würde ich nicht gerade sagen. Nein. Ganz und gar nicht.
    Er hinkt. Und ich glaube, das

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