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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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schließlich etwa dreihundert Dollar in Fünf‐, Zehn‐ und Zwanzigdollarnoten in meiner Brieftasche stecken hatte.
    Ich schlug den Rand der Papiertüte um, damit niemand ihren Inhalt sehen konnte, nahm meine Handtasche und öffnete die Tür.
    Als ich draußen an den Waschbecken vor den Spiegel trat, war die Rothaarige verschwunden, und ich war wieder ich selbst. Mehr oder weniger.
    Weil niemand im Waschraum war, holte ich meine Haarbürste aus der Handtasche und verbrachte die nächsten paar Minuten damit, meine von der Perücke platt gedrückten Haare wieder halbwegs in Form zu bringen. Gut sah ich danach noch immer nicht aus, aber zumindest würde ich nicht unangenehm auffallen.

    Weil ich jetzt wieder ich war, nahm ich auch noch die großen goldenen Ohrringe ab und legte sie zusammen mit der Bürste in meine Handtasche.
    Als ich mit allem fertig war, nahm ich meine Einkaufstüte und verließ die Damentoilette. Ich schlenderte die Geschäfte entlang, bis ich eines fand, das Reisegepäck verkaufte und erstand einen hübschen, grünen Rucksack, den ich bar bezahlte.
    Nachdem die Verkäuferin sämtliche Etiketten und Preisschilder entfernt hatte, steckte ich die Einkaufstüte in den Rucksack und setzte ihn auf.
    Beim Verlassen des Geschäfts fragte ich mich, ob ich hier im Einkaufszentrum vielleicht noch etwas anderes brauchte.
    Wie wäre es mit einem Happen zu Essen?
    Bei Wong’s Kitchen gab es hervorragendes Hühnchen mit Orangen,
    gegrilltes
    Schweinefleisch
    und
    eine
    herrliche
    Wan‐Tan‐Suppe. Ich kam echt in Versuchung. Andererseits bestand hier im Einkaufszentrum ständig die Gefahr, dass mir jemand über den Weg lief, der mich kannte. Und diese Gefahr wuchs von Minute zu Minute.
    Verschwinde. Sofort.
    Geh nach Hause.
    Ich begab mich auf direktem Weg zum nächsten Ausgang und trat hinaus in die Hitze und Helligkeit des späten Nachmittags.
    Nachdem ich meine Sonnenbrille aufgesetzt hatte, stopfte ich auch noch meine Handtasche in den Rucksack und stiefelte los.
    Zuerst legte ich ein ziemlich forsches Tempo vor, das ich aber nicht lange durchhalten konnte. Obwohl es hin und wieder einen erfrischenden Windstoß gab, war der Tag einfach zu heiß für einen Gewaltmarsch, und außerdem war ich nicht gerade in Bestform: Der mangelnde Schlaf, die vielen Verletzungen, der ständige Stress und die unglaublichen körperlichen Anstrengungen der letzten Nacht zollten jetzt ihren Tribut.
    Ziemlich rasch geriet ich außer Atem. Mein Herz raste, und der Schweiß lief mir in Strömen herunter.
    Also ging ich langsamer.
    Langsam, aber beständig. Nur so kommt man ans Ziel.
    Bald fühlte ich mich wieder besser.
    Von meinen regelmäßigen Ausflügen zum Einkaufszentrum wusste ich, dass es sechs Meilen von Serenas und Charlies Haus entfernt war. Normalerweise schaffte ich zu Fuß etwa vier Meilen in der Stunde, jetzt mochte es vielleicht die Hälfte sein.
    Ich war noch nie gut im Kopfrechnen, aber sechs geteilt durch zwei ergibt nun mal drei.
    Drei Stunden Fußmarsch?
    Bei dem Gedanken, dass ich bei dieser Geschwindigkeit nicht vor acht Uhr abends zu Hause sein würde, beschleunigte ich meine Schritte wieder.
    Für die Autofahrer muss es ein ziemlich interessanter Anblick gewesen sein, wie ich da mit meinem Rucksack den Gehsteig entlangstapfte. Selbst ohne die rote Perücke war ich in meiner knallroten Bluse und dem geschlitzten, grünen Rock noch alles andere als unauffällig. Außerdem habe ich – wie wir ja inzwischen alle wissen – nicht gerade wenig Holz vor der Hütte, und mein Büstenhalter war nicht unbedingt ein Sportmodell, weshalb meine Brüste im Takt meiner Schritte ziemlich heftig auf und ab hüpften.
    Durch den Rucksack, der mir mit seinem Gewicht die Schultern nach hinten zog, wurde dieser Effekt sogar noch verstärkt. Und als wäre das noch nicht genug, blitzte auch noch bei jedem meiner weit ausgreifenden Schritte mein nacktes Bein aus dem Schlitz im Rock hervor.
    Kein Wunder also, dass mich hin und wieder jemand anhupte oder auf die Bremse trat, das Fenster herunterkurbelte und mir hinterherpfiff. Weil der Verkehr so laut war, konnte ich nicht verstehen, was die Männer mir zuriefen, aber ich schätze mal, dass es die übliche Mischung aus plumpen Komplimenten, anzüglichen Bemerkungen und eindeutigen Angeboten war.

    Wenn ein Mann einer Frau etwas aus dem Auto heraus zuruft, ist es fast immer etwas Primitives.
    Es dauerte nicht lange, dann kam das, was kommen musste.
    Ein Wagen fuhr erst an mir

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