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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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fragte sie.
    »Weil er keinen hatte.«
    »Wieso denn das?«
    »Sie haben ihn ihm abgenommen.«
    Sie schnappte nach Luft. »Soll das ein Witz sein?«
    »Nein. Tony musste ihn letzte Woche abgeben. Wegen Trunkenheit am Steuer und Fahrerflucht.«
    »Herr im Himmel! Er hat doch nicht etwa einen Unfall gebaut?«
    »Nichts Schlimmes, nur einen Blechschaden. Aber er hat nun mal Gas gegeben und ist abgehauen, und nach ein paar Meilen hat ihn ein Streifenwagen geschnappt. Er hatte noch Glück, dass sie ihn nicht ins Gefängnis geworfen haben.«
    »Der arme Tony«, sagte Judy.
    »Stimmt. Er hatte eine harte Zeit. Kommt einfach nicht darüber hinweg, dass er Sie verloren hat.«
    »Oh weh.«
    »Und weil er keinen Führerschein mehr hat, dachte ich, auf dem Zettel, den ich in seinem Geldbeutel fand, stünde seine Adresse.
    War natürlich idiotisch von mir, wer schreibt sich schon die eigene Adresse auf einem Zettel auf? Spätestens beim dritten Schlüssel hätte ich gemerkt, dass ich auf dem Holzweg war.«
    »Ich habe gehört, wie Sie es probiert haben«, sagte Judy.
    »Habe ich Sie geweckt?« Ich machte ein betretenes Gesicht. »Das tut mir leid.«
    »Nein. Ich war wach. Ich hatte nämlich einen scheußlichen Albtraum, von dem ich aufgewacht bin. Ein echt widerlicher Traum.«
    »Ich hasse Albträume!«
    »Ich auch. Es gibt nichts Schlimmeres. Zum Glück können sie nie Wirklichkeit werden.«
    »Glauben Sie?«
    »Klar. In Albträumen regiert die pure Angst. Wenn einem so was in Wirklichkeit passieren würde, hätte man zwar immer noch eine Heidenangst, aber man könnte auch vernünftig denken und etwas tun, um die Situation zu ändern. In Albträumen hingegen gibt es nur die Panik und keine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen.«
    »Aber aus Träumen wacht man irgendwann mal auf«, gab ich zu bedenken.
    »Stimmt. So wie ich heute Nacht. Und danach wollte ich nicht so gerne wieder einschlafen. Wenn man zu schnell wieder einschläft, landet man manchmal wieder mitten im selben Albtraum. Deshalb bin ich aufgestanden und ins Bad gegangen.«
    »Das ist was, wovor es mich gruselt!«, rief ich aus. »Mitten in der Nacht aufs Klo zu müssen! Ich bilde mir dann immer ein, irgendwelche furchtbaren Geräusche zu hören.«
    »Ich habe Geräusche gehört. Jemand hat versucht, die Tür aufzusperren.«
    »Oh Gott. Da müssen Sie ja voll die Krise gekriegt haben!«
    »Zuerst habe ich nicht glauben wollen, dass es an meiner Tür war.
    Ich dachte, es sei gegenüber. Aber als es dann nicht aufgehört hat, habe ich durch den Spion geschaut.«
    »Und da war ich.«
    »Da waren Sie.«
    »Sie haben mich furchtbar erschreckt, als Sie plötzlich die Tür aufgerissen haben!«
    »Das wollte ich nicht«, sagte Judy. »Ich dachte, Sie brauchen Hilfe.«
    »Damit haben Sie recht gehabt.«
    »Nein«, sagte Judy und machte dabei ein Gesicht, als befürchte sie, meine Gefühle zu verletzen oder mich in Wut zu bringen. »Nein, es ist Tony, der Hilfe braucht.«
    »Wie bitte?«
    »Ich nehme Ihnen wirklich nicht übel, was Sie mit ihm gemacht haben«, sagte Judy. »Er hätte weiß Gott Schlimmeres verdient.
    Aber … ich fühle mich irgendwie verantwortlich. Wenn ich nicht mit ihm Schluss gemacht hätte, wäre das alles wohl nicht passiert.«
    Es klang seltsam, aber damit hatte sie hundertprozentig recht.
    »Es klingt, als ob er … völlig kaputt wäre«, sagte sie leise.
    »Allerdings«, stimmte ich ihr aus vollem Herzen zu.

    Anruf bei einem Toten
    »Ich kann ihn nicht einfach nicht da draußen liegen lassen«, sagte Judy.
    »Wer sagt denn, dass er noch dort liegt? Vermutlich ist er längst auf dem Heimweg.«
    »Aber als Sie weggefahren sind, war er nicht bei Bewusstsein, oder?«
    »Er lag da wie ein Toter.«
    »Und ist vielleicht immer noch bewusstlos.«
    »Möglich wäre es natürlich schon«, gab ich zu. »Wissen Sie was?
    Rufen Sie ihn doch einfach an.«
    Das schien mir eine gute Idee zu sein.
    Judy, die ja nicht wusste, dass Tony umgezogen war, würde seine alte Nummer wählen und dort eine Ansage hören, dass es unter dieser Nummer keinen Anschluss mehr gab.
    »Für den Fall, dass er schon zu Hause ist«, ergänzte ich.
    »Versuchen können wir es ja.«
    Judy stand auf und ging zum Telefon, das auf einem Tischchen neben der Stehlampe stand. Während sie den Hörer abhob, sagte sie: »Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er schon zu Hause ist. Außer, ihn hat jemand mitgenommen. Von Millers Woods bis zu seiner Wohnung ist es zu Fuß verdammt

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