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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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und kam mit ihrer Handtasche über der Schulter zurück. »Ich wäre so weit«, verkündete sie. »Sie auch?
    Oder wollen Sie noch mal kurz auf die Toilette?«
    »Das wäre vielleicht nicht schlecht. Wo ist sie denn?«
    »Erste Tür links.«
    Ich ging ins Badezimmer und verriegelte die Tür hinter mir. Es war klein, aber sehr sauber, und in der Luft hing ein angenehmer Blütenduft, der von einem Stück Seife am Waschbecken zu kommen schien.
    Ich nahm die Pistole aus der hinteren Hosentasche, zog die abgeschnittene Jeans herunter und setzte mich auf die Kloschüssel.
    Beim Pinkeln fragte ich mich, was ich angerichtet hatte.
    Ich hatte Tonys Wagen – und seine Leiche – in Judys Tiefgarage gestellt.
    Selbst wenn es mir irgendwie gelingen sollte, seine neue Adresse herauszufinden – was mir ziemlich unwahrscheinlich erschien –, war mein ursprünglicher Plan ohnehin Makulatur, weil Judy mich jetzt gesehen hatte.
    Mir blieb gar keine andere Wahl: Ich musste sie umbringen, auch wenn das bei Weitem nicht alle meine Probleme lösen würde.
    Dummerweise mochte ich sie.
    Schade, dachte ich, dass ich sie nicht sofort erschossen habe. Das hätte es mir viel leichter gemacht. Jetzt, wo ich sie kennengelernt hatte, würde es mir wirklich schwerfallen.
    Ich blickte auf die Pistole in meiner Hand.
    Vielleicht ist es am besten, wenn ich jetzt hinausgehe und sie ohne ein weiteres Wort abknalle.
    Mit dem Daumen legte ich den Sicherungshebel um, unter dem ein kleiner, roter Punkt zum Vorschein kam.
    Warte, bis sie dir den Rücken zukehrt. Dann geh zu ihr und jage ihr aus nächster Nähe ein paar Kugeln in den Hinterkopf.
    Sie darf nicht wissen, was auf sie zukommt. Auf diese Weise muss sie vor ihrem Tod wenigstens keine Angst haben.
    Und schreien wird sie auch nicht.
    Oder vielleicht doch. Vor Schmerz.
    Schon von der Vorstellung wurde mir schlecht.
    Schieb es noch eine Weile auf, sagte ich mir. Du hast ja keine Eile.
    In ein paar Minuten fahren wir hinaus in den Wald, wo niemand die Schüsse hören kann.
    Ich fühlte mich sofort viel besser.
    Ich musste sie zwar immer noch töten, aber wenigstens nicht gleich.
    Ich sicherte die Waffe wieder und legte sie auf den Rand des Waschbeckens.
    Dann zog ich meine Hose wieder hoch und schnallte den Gürtel fest zu, damit sie mir nicht herunterrutschte. Anstatt in die hintere Hosentasche steckte ich die Pistole jetzt in die rechte vordere, wo ich sie viel schneller ziehen konnte.
    Dann wusch ich mir die Hände.
    Über dem Waschbecken hing ein Spiegel.

    Ich erkannte mich selbst kaum wieder. Meine Haare sahen schlimm aus – feucht, verfilzt und stark gelockt – und mein Gesicht glänzte vor Fett und Schweiß. Vom Sonnenbaden am Nachmittag hatte es eine ziemlich dunkle Farbe angenommen. Am seltsamsten aber waren meine Augen – das Weiß war zu weiß und mein Blick viel zu intensiv.
    Irgendwie wirkte ich verrückt – und wild.
    Wie jemand, der imstande ist, einen Mord zu begehen.
    Nachdem ich mir die Hände mit heißem Wasser und der wunderbaren Seife gewaschen hatte, dufteten sie wie eine Blumenwiese. Ich drehte das kalte Wasser auf, trank ein paar Schlucke und benetzte mein verschwitztes Gesicht.
    Dann trocknete ich mich ab und wischte mit dem Handtuch über den Wasserhahn, den Spülkasten der Toilette und den Lichtschalter.
    Nachdem ich das Handtuch zurück an den Haken gehängt hatte, schaltete ich mit dem Handrücken das Licht aus und drehte den Türknauf, wobei ich meine Hand mit einem Zipfel von Tonys Hemd umwickelte, damit ich keine Fingerabdrücke hinterließ.
    »Fertig?«, fragte Judy.
    »Fertig«, erwiderte ich.
    Sie hatte inzwischen unsere Bierkrüge weggeräumt.
    Mit meinen Fingerabdrücken darauf!
    »Sie haben ja schon alles aufgeräumt«, stellte ich mit einem Lächeln fest.
    »Ja. Ich hasse es, in eine unaufgeräumte Wohnung zurückzukommen. Hätten Sie Ihren Krug denn noch gebraucht?«
    »Für einen Schluck Wasser vielleicht.«
    »Ist leider schon abgespült. Aber ich kann Ihnen einen frischen geben.«
    Schon abgespült!
    »Kein Problem«, sagte ich, angenehm erleichtert. »Gehen wir lieber.«
    »Sind Sie sicher? Es macht mir überhaupt nichts aus.«

    »Besser, ich trinke nichts, sonst muss ich bloß wieder aufs Klo.«
    »Okay.«
    »Fahren wir.«
    Judy ging voraus zur Tür. Als ich ihr folgte, spürte ich, wie die Pistole in der Tasche an meinem rechten Oberschenkel rieb. Sie öffnete die Tür und trat einen Schritt beiseite.
    Im Flur war niemand.
    Judy zog die Tür zu und

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