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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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trat sie an mein Bett und hatte dabei nichts am Leib als das rote Tuch, mit dem ich sie geknebelt hatte, und das ihr nun lose um den Hals hing. In der rechten Hand hielt sie ein Messer. »Sieh mal einer an«, sagte sie. »Wen haben wir denn da?«
    »Schön, dich zu sehen, Judy«, sagte ich und wunderte mich dabei nur am Rande, wieso ich trotz meines Knebels so klar sprechen konnte. Dann erkannte ich auf einmal, dass ich gar nicht mehr geknebelt war. »Du hast mir gefehlt, Judy«, fuhr ich fort. »Du hast mir so sehr gefehlt.«
    »Du mir auch«, sagte sie.
    »Wie bist du denn freigekommen?«
    Sie hob den linken Arm und zeigte mir einen blutigen Stumpf.
    »Ich musste mir die Hand abbeißen«, sagte sie.
    »Großer Gott.«
    Sie lächelte freundlich und zuckte mit den Schultern. »Das war nicht schlimm. Man tut eben, was man tun muss. Sieht ganz so aus, als wärest du jetzt selbst in einer schwierigen Lage.«
    »Eigentlich nicht.«
    »Glaubst du?«
    »Ja. Das hier ist nur eine Inszenierung für den Fall, dass Murphy mir die Polizei auf den Hals hetzt.«
    »Das tut er bestimmt nicht.«
    »Man kann nie wissen«, sagte ich. »Männern kann man nicht trauen.«

    »Dem schon. Er liebt dich.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Klar. Er liebt dich von ganzem Herzen.«
    »Ich weiß nicht …«
    »Vertrau mir«, sagte Judy.
    »Ich hoffe, dass du recht hast.«
    Ich hoffte es wirklich. Bei dem Gedanken, dass Murphy mich tatsächlich lieben könnte, wurde mir ganz warm ums Herz, aber andererseits stimmte es mich auch traurig.
    So traurig, dass mir fast die Tränen kamen.
    »Ich weiß, dass er dich liebt«, versicherte mir Judy. »Aber das heißt noch lange nicht, dass er zurückkommen und dich losbinden wird.«
    »Doch, das wird er.«
    »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Soll ich dich vorsichtshalber schon mal losschneiden?«
    Mir schien das nicht nötig zu sein. Schließlich war ich davon überzeugt, dass Murphy bald zurück sein würde. Aber es gefiel mir, dass Judy bei mir war, und ich wollte, dass sie mir ganz nahe war.
    Also sagte ich: »Vielleicht hast du recht. Schneide mich los.«
    Mit einem Lächeln auf dem Gesicht kletterte sie zu mir ins Bett, schwang ein Bein über meinen Körper und setzte sich auf meinen Bauch. Dann beugte sie sich nach vorn und fing an, den Strick an meiner rechten Hand zu durchtrennen. Ihre linke Brust, die dabei nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt war, wippte im Rhythmus ihrer Bewegungen.
    Dann hielt sie inne.
    Sie schnitt nicht weiter.
    Ich bewegte meinen Arm, aber er war immer noch gefesselt.
    »Warum hörst du auf?«, fragte ich.
    »Weil ich es mir anders überlegt habe. Ich glaube nicht, dass ich dich losschneiden sollte.«
    »Und warum nicht?«

    »Weil mir gerade etwas eingefallen ist.«
    »Was denn?«, fragte ich, während sich in meinem Bauch ein schlechtes Gefühl breitmachte.
    »Dass du mich auch nicht losgeschnitten hast.«
    »Ich weiß, aber …«
    »Warum sollte ich dich losschneiden? Du hast mich schließlich auch draußen im Wald an dem Ast hängen lassen.«
    »Das ging nicht anders«, antwortete ich.
    »Wenn ich mir nicht die Hand abgebissen hätte, wäre ich immer noch dort. Weißt du was? Das hat verdammt wehgetan.«
    »Das tut mir leid.«
    »Beweis es mir«, sagte Judy.
    »Wie?«
    »Küss mich.«
    Ihre Brust hing ganz dicht über meinem Gesicht und bewegte sich noch immer leicht hin und her. Im warmen, von den Vorhängen gedämpften Sonnenlicht sah sie wie eine wunderschöne, goldene Kuppel aus, und die Brustwarze in ihrer Mitte befand sich direkt über meinem Mund.
    Ich öffnete die Lippen, hob den Kopf vom Kissen und leckte ihr zärtlich darüber.
    »Nicht da!«, sagte Judy und stopfte mir den blutigen Stumpf ihres Unterarms in den Mund.
    »Friss das!«, schrie sie.
    Abrupt wachte ich auf, spuckte erschrocken in meinen Knebel und versuchte, mich aufzusetzen.
    Die Stricke hielten mich unten.
    Ich schnappte nach Luft, was mir aber wegen des Knebels nicht gelang. Zum Glück hatte Murphy das Tuch nicht sonderlich fest gebunden, sodass ich es aus dem Mund befördern konnte, indem ich mit der Schulter daran rieb und gleichzeitig von innen mit der Zunge dagegen drückte. Ich sog tief und gierig die Luft ein.
    Als ich mich wieder beruhigt hatte, begann ich zu überlegen. Vor ein paar Stunden wäre ich nach einem Traum von Judy um ein Haar in der Badewanne ersoffen, und jetzt das.
    Vielleicht will sie mir damit etwas mitteilen.
    Was soll ich tun? Soll ich zurück in den Wald

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