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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Staub etwas gesetzt hat. Es werden immer wieder britische Bomber abgeschossen. Die Piloten, die sich per Fallschirm gerettet haben, werden gefangen gesetzt. Wir helfen ihnen, zu entkommen, und schleu sen sie zurück nach England. Ist eine gute Sache, wir sorgen dafür, dass der Krieg schneller vorübergeht, und retten Menschenleben. Bist du bereit, uns zu helfen?«
    Wie sehr sie sich doch in diesem Pfarrer getäuscht hatte! »Und ich dachte, Sie erzählen Witze auf Kosten der Kriegsopfer«, sagte sie kleinlaut.
    »Witze sie sind oft die einzige Waffe, die den Schutzschild der Partei durchdringen kann. Ich will ja nicht nur Briten retten, sondern auch Deutsche.«
    »Mit Witzen? Was soll dabei rauskommen, außer dass man bei der Gestapo landet?«
    »Ich kenne jemanden, der schreibt solche Witze auf kleine Zettel, versteckt sie in Streichholzschachteln und legt sie aus, wie Köder, verstehen Sie? Die Leute verstecken sich im Klein-Klein des Alltags. Sie wollen vergessen. Aber wenn jemand den Köder schluckt, wenn er den Witz liest und lachen muss, dann fühlt er sich ertappt und merkt, über wen er eigentlich lacht. Die hohen Herren der Partei sind ihm plötzlich lächerlich. Wir müssen den Einzelnen aus dem Schwarm holen. Wir müssen ihm Mut machen, nachzudenken und gegen den Strom zu schwimmen.«
    Der Mut dieses Mannes beeindruckte sie. Warum gab es nicht mehr Deutsche wie ihn? Sie sagte: »Ich helfe Ihnen. Wenn Sie mich zuerst nach Neheim bringen. Ich muss noch einmal ins Barackenlager.«
    »Was willst du dort? Vermisst du es, eingesperrt zu sein?«
    »Ich muss mit jemandem sprechen.«
    »Auf mich wartet in Neheim meine liebe Ehefrau, und trotzdem gehe ich nicht zurück dorthin. Ich muss Ilse allein lassen, ich kann ihr höchstens alle paar Wochen eine heimliche Nachricht übermitteln. Verstehst du nicht? In Neheim halten sie die Augen auf nach uns!«
    Sie schwieg.
    »Wir schleusen dich in eine andere Stadt. Du wartest einige Wochen in einem Versteck, und sobald sie die Suche nach uns aufgegeben haben, wirst du an einen weiteren Ort gebracht und baust dir eine Scheinidentität auf.«
    »Lieben Sie Ihre Frau?«
    »Natürlich liebe ich sie. Ich hab furchtbare Angst, dass sie in Sippenhaft genommen wird. Ilse ist mein Ein und Alles.«
    »Warum lassen Sie sie dann allein?«
    »Mädchen, dieses Opfer müssen alle bringen, die für den Ring arbeiten. Ich hatte bisher das Glück, dass meine Arbeit als Pfarrer mich gedeckt hat. Die meisten brechen jeglichen Kontakt zu Freunden und Familie ab, um sie nicht zu gefährden.«
    Ein Kriegsverwundeter humpelte an einer Krücke vorüber. Er sagte, wie beiläufig: »Keine Feigheit vor dem Feind.«
    »Das ist Unsinn«, antwortete der Pfarrer.
    Der Uniformierte blieb stehen. »Sie also.« Er wies mit der freien Hand auf Nadjeschka. »Und wer ist das?«
    »Sie kommt mit.«
    Der Kriegsverwundete zog ärgerlich die Stirn in Falten. »Mir wurde ein Paket angekündigt, nicht zwei. Hat jemand sie geprüft?«
    »Wir können ihr vertrauen.«
    »Wenn ich nicht wüsste, dass Sie einer von uns sind …«
    Der Pfarrer stand auf. »Gehen wir.«
    Nadjeschka erhob sich ebenfalls. »Ich …« Sie schluckte. »Danke, dass Sie das tun.«
    Am anderen Ende des Parks schlug ein Hund an, er kläffte aufgeregt.
    Der Kriegsverwundete fuhr herum. »Scheiße«, zischte er. »Ich verschwinde.« Er warf die Krücke fort und ging zügig auf die Büsche zu.
    Sie sah sich um. Suchende mit Hunden und Gewehren hatten den Park betreten. Die Hunde folgten aufgeregt einer Duftspur. Ihrer Duftspur. Von dort hinten waren sie vorhin gekommen.
    »Am besten trennen wir uns«, sagte der Pfarrer. Er eilte in Richtung der Häuser am Rand der Wiese.
    »Stehen bleiben!«, riefen die Uniformierten.
    Nadjeschka hastete auf eine Gruppe von Bäumen zu. Als sie über die Schulter blickte, sah sie, wie einer der Verfolger sich das Gewehr von der Schulter schnallte. Panisch schlug sie einen Haken. Die würden schießen! Sie musste Bäume zwischen sich und die Uniformierten bringen.
    Ein Schuss krachte.
    Der Pfarrer überschlug sich und blieb lang hingestreckt liegen.
    Stromschläge jagten durch ihren Körper. Sie rannte um ihr Leben, strauchelte, rappelte sich auf und rannte weiter. Die Hunde bellten. Ihre Beine stampften wie Kolben, aber die Wiese war endlos. Sollte sie eher zu den Häusern laufen?
    Erneut knallte es.
    Schoss man auf sie oder auf den Fluchthelfer? Die Häuser kamen näher, wenn sie es nur bis zu dieser Straße schaffte

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