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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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bei Ihnen.«
    »Die gestrigen Fotos, ja. Interessante Luftaufnahmen, die Sie da gemacht haben. Allerdings observieren wir den Flughafen schon länger.«
    Der Partner war eine Erfindung, ganz bestimmt. Sie versuchte, sich zusätzliche Trümpfe in die Hand zu zaubern. »Für Ihren Partner haben Sie Ihr Leben aufs Spiel gesetzt und sich gefangen nehmen lassen?«
    »Mein Leben war nie in Gefahr. Ich wusste, dass ich erst noch befragt werden würde, bevor man mich hinrichtet. Was ich weiß, ist zu wertvoll.«
    »Und jetzt offenbaren Sie mir, dass Sie einen Partner haben, einfach so?«
    »Nein, nicht einfach so. Ich hatte es auf diese Weise geplant. Durch den Partner verhindere ich für die nächste Zeit meine Hinrichtung. Denn nur ich kann Sie zu ihm führen.«
    Er lachte. Es gelang ihm recht gut, Unbekümmertheit vorzutäuschen, auch wenn er innerlich aufgewühlt war. Abrupt knallte er die Hände auf den Tisch und fuhr sie an: »Was, wenn wir ihn längst gefasst haben?«
    In ihrem Gesicht arbeitete es: Verblüffung, Zweifel.
    Dann ist es keine Erfindung, dachte er mit Entsetzen. Es gibt einen zweiten Mann, der die Deutschen über Operation Chastise informieren wird.
    Sie mussten sich auf die Suche nach ihm machen, umgehend. Sie brauchten Verstärkung aus London. Jede Stunde zählte. Wo war Nachtauge gewesen, wen hatte sie getroffen? Sie mussten sich in den umliegenden Orten umhören, die Po lizei, der Heimatschutz, alle mussten mithelfen. Bevor sie nicht herausgefunden hatten, wie viel Nachtauges Partner wusste und mit ihm die Deutschen, konnte Operation Chastise nicht anlaufen.
    Täuschungsversuche waren jetzt zwecklos. Sie hatte es längst in seinem Blick gelesen. Er stand auf.
    »Sie haben ihn nicht«, sagte sie und lächelte. »Wie unerquicklich für Sie, dass Sie schon wieder nach meiner Pfeife tanzen müssen.«
    Er verließ den Raum und wies die Soldaten an, Nachtauge in ihre Zelle zu bringen. »Durchsucht sie vorher noch einmal. Sie darf nichts mit hineinnehmen! Rechnet mit allem, Kontaktgift, einem Füllhalter mit Tränengas, Tinte im hohlen Zahn. Diese Frau ist mit allen Wassern gewaschen.«
    Georg schaltete den Volksempfänger an und sogleich wieder aus: an, aus, an, aus. Er hörte Sekundenhäppchen von Volksmusik, dann lustige Tiergeschichten, Tanzmusik, Nachrichten, er zerhäckselte die Sätze, die über den Äther in seine Wohnung schwebten.
    Die Uhr tickte. Das Metronom der Gleichgültigkeit. Nichts bedeutete mehr etwas.
    Er wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Schnäuzte sich die Nase. Im Wohnzimmer setzte er sich auf den Boden, lehnte sich an das Sofa und sah zu, wie der Wind die Gardine bewegte. Eine Stunde verharrte er so. Der Mond schien ins Zimmer, malte das Gardinenmuster aufs Bücherregal. Georg saß in stumpfes Brüten versunken.
    Dass man sich einer Frau so ganz verschreiben konnte und sie selbst dann noch liebte, wenn sie einem vorsätzlich das Herz in Stücke riss – er hatte das nie verstehen können. Seinen Cousin hatte er bemitleidet und sogar ein bisschen verachtet dafür, dass er noch nach Jahren von seiner geschiedenen Frau sprach, mit jedem, der ihn besuchte. Der Cousin dachte dauernd an sie, obwohl sie ihm nicht mal zum Geburtstag schrieb. Ständig redete er über das, was er mit seiner geschiedenen Frau erlebt hatte, wiederholte, was sie wann gesagt und wie sie wo Großzügigkeit bewiesen hatte. »Wenn das meine Marlies sehen würde!«, sagte er und wollte nicht begreifen, dass sie nicht mehr seine Marlies war und offenbar auch nie seine Marlies hatte sein wollen.
    Nun ging es ihm, Georg, genauso. Er brachte die zwei Personen nicht zusammen: die Nadjeschka, die gesungen hatte in der Zelle. Die ihn gebeten hatte, die Gestapo zu rufen, mit Schmerz und bitterer Entschlossenheit, weil sie sich schuldig fühlte für Katjas Tod. Die später seinen Blick gehalten hatte, lange, und dabei lächelte, als sie mit den anderen von der Fabrik zurückkehrte. Nadjeschka im weißen Sommerkleid mit dem roten Blumenmuster, die galant knickste und strahlte.
    Und Nadjeschka, die ihn ausgenutzt hatte, um zu entkommen. Die darauf gewartet hatte, dass er sie zur Barackenältesten ernannte, die ihn aushorchte und das erlangte Wissen nutzte, um den perfekten Moment abzupassen. Die sich davongeschlichen hatte, als er in der Stadt war.
    Er rutschte auf den Boden hinunter, breitete die Arme aus. Lag einfach da und starrte an die Zimmerdecke. Wie hatte er glauben können, dass Nadjeschka ihn liebte! Eine kluge

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