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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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stellen.« Sein Arm hing in einer Schlinge, offenbar war die Schulter verletzt. Kam er von der Front, oder hatte er sich die Verletzung hier zu Hause zugezogen?
    »Wir haben strenge Geheimhaltungsrichtlinien. Sie sollten sich zuerst an Wing Commander Guy Gibson wenden.«
    »Das habe ich bereits.« Keine Spur von einem Lächeln in seinem Gesicht.
    Ken dachte nach. Der Kerl schaute drein, als habe er, Kenneth, etwas verbrochen, wie ein Polizist sah er ihn an, wenn man wegen zu schnellen Fahrens herausgewunken wurde. Also ging es nicht um Mutter, sondern um ihn. Welche Vorschrift hatte er missachtet? Oder handelte es sich um einen Trick, eine Prüfung, und er sollte gerade jetzt beweisen, dass er sich an die Vorschriften hielt? »Ich bin nicht befugt, mit Ihnen zu reden«, sagte er.
    Der Mann zeigte einen Ausweis und sagte: »Eric Knowlden, MI 5, Abteilung Spionageabwehr.«
    Die hübsche Blonde fiel ihm ein. Ihre Wimpern, ihre wachen Augen. Unmöglich konnte sie eine Spionin sein! Er hatte sich mit ihr verabredet fürs Tanzlokal, wollte mit ihr zu Klavier, Trompete, Saxofon und Schlagzeug den ganzen Abend Quickstepp tanzen. Heute hatte er Anzug und Krawatte gekauft, die Hose unten modisch einschlagen lassen. Hatte sich alles schon hundertmal vorgestellt: wie er beim Toilettenwächter heimlich Bier kaufte für sie, wenn das Tanzlokal keine Ausschankgenehmigung besaß, und wie er es mit ihr draußen auf den Stufen unter dem Sternenhimmel trank.
    »Bitte folgen Sie mir.«
    Hoffentlich werfen sie mich nicht aus dem Geschwader, dachte er.
    Schon auf dem Weg zum Verwaltungsgebäude, kaum dass sie den neugierigen Pulk der Crewmitglieder hinter sich gelassen hatten, stellte der Agent die ersten Fragen. »Sie haben gestern mit einer Frau im Pub zusammengesessen. Was haben Sie ihr über die gegenwärtige Operation erzählt?«
    »Nichts«, beteuerte er. »Ich weiß ja gar nichts. Wie soll ich ihr da etwas erzählen?«
    Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht mit einem Schlag gegen den Brustkorb, der ihm den Atem raubte. Er beugte sich nach vorn und rang um Luft, hustete. Wie konnte der verletzte Kerl noch so zuschlagen?
    Der Agent packte ihn am Kinn und zwang ihn nach oben, bis er ihm in die Augen sah. »Hören Sie mir gut zu, Mr Fraser. Sie haben mit Ihrer Geschwätzigkeit eine Operation in Gefahr gebracht, die womöglich das Ende dieses Weltkriegs herbeiführen könnte. Wollen Sie schuld daran sein, dass weitere Millionen sterben? Wollen Sie, dass die Deutschen in England einmarschieren?«
    »Nein«, keuchte er.
    »Die Frau, mit der Sie geredet haben, ist die beste Agentin, die Hitler hat, sie liest Ihnen die Geheimnisse aus den Augen, aus dem Gesicht, aus den Gesten. Sagen Sie mir nicht, Sie hätten ihr nichts erzählt! Ich will genau wissen, über was Sie mit ihr gesprochen haben.«
    Die Tirpitz fiel ihm ein, siedend heiß. Er hatte May gegen über die Tirpitz erwähnt. Wenn das tatsächlich das geplante Ziel war, würden die Deutschen sie in eine Bucht steuern und mit Nebelwerfern jeden Versuch vereiteln, das Schiff aus der Luft zu attackieren. Gestand er dem Agenten jedoch den furchtbaren Fehler, wäre das mit Sicherheit das Ende seiner Pilotenlaufbahn, sofern er nicht sogar als Hochverräter vor Gericht kam. »Ich glaube, ich hab ihr gesagt, dass wir Tiefflug trainieren.«
    »Haben Sie mit ihr über die Bomben gesprochen?«
    »Nur dass wir Übungsbomben verwenden.«
    Eine Lancaster landete, die lauten Motoren machten das Weiterreden unmöglich. Sie erreichten das Verwaltungsgebäude und traten in den hellen Schein der Flugplatzlampen. Er würde sich das nicht verzeihen können, wenn sie alle aufbrachen, das ganze Geschwader, und in eine Falle der Deutschen gerieten. Wenn sie wegen ihm starben, über hundertdreißig Mann. Er blieb stehen.
    »Was ist?«, fragte der Agent.
    »Ich muss Ihnen etwas gestehen.« Seine Stimme war plötzlich leise, brüchig. Das war’s, dachte er, ich werde nie wieder ins Cockpit steigen und abheben und die Welt von oben sehen. »Die Frau wollte wissen, für welches Ziel wir trainieren, und ich hab ihr gegenüber die Tirpitz erwähnt.« Da war es, das schreckliche Vergehen, das bittere Wort: Tirpitz .
    Der Blick des Agenten blieb ruhig. »Gehen wir rein.«
    Georgs Taschenuhr glänzte silbern im Mondlicht. Der Minutenzeiger schien stillzustehen, nur der Sekundenzeiger, der sich in einem eigenen, kleineren Kreis drehte, tickte behäbig voran. Nadjeschka sah von der Uhr hoch, die er ihr gegeben

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