Nachtauge
durch den Damm? Wasser spülte über die Mauer, ganz deutlich sah er es, immer mehr Wasser stürzte ins Tal! Der Funker sprang auf, riss sich jubelnd den Kopfhörer herunter. Er rief: »Leute, wir haben es geschafft!«
Ken flog mit den sieben überlebenden Flugzeugen gemeinsam zur Mauer. Sie begutachteten ihren Erfolg, die weiße Gischt, die ins Tal donnerte. Eine einzelne Flak forderte sie noch heraus und wurde von allen Schützen gemeinsam zum Schweigen gebracht.
Gibson sagte über UKW : »Wir haben keine Zeit zu verlie ren. Jeden Moment könnten Nachtjäger auftauchen.« Er befahl den dreien, die ihre Bombe noch hatten – Shannon, Maudslay und Knight – ihm zu Ziel B zu folgen, zur Edertalsperre.
In England, im Headquarter in Grantham, sprangen hochdekorierte Männer in Uniform vor Freude in die Luft wie kleine Jungs. Jeder schüttelte dem Erfinder der Rotationsbombe, Wallis, die Hand und gratulierte; Air Chief Marshal Arthur Harris, Air Vice-Marshal Ralph Cochrane und Harris sagte sogar: »Wallis, ich habe Ihnen kein Wort geglaubt, als Sie mir das Ding vorgestellt haben. Jetzt könnten Sie mir einen rosa Elefanten verkaufen, ich glaub Ihnen alles.«
37
»Axel«, sagte der Großvater, »kannst du mir erklären, was hier los ist?«
»Frag Georg.« Er gab den anderen durch ein Nicken zu verstehen, dass sie die Zimmer durchsuchen sollten. Georg, dieser Sprücheklopfer, war ihm lang genug auf die Nerven gefallen. Anstatt ihm dankbar zu sein für den Schutz, den er ihm gewährte, hatte er ihn mit immer neuen Ansprüchen belagert und durch seine Dummheit alles gefährdet. Es war Zeit, dass er spürte, wer hier das Sagen hatte.
Der Großvater sah fragend zu Georg hinüber. »Was wollen die Polizisten hier?«
Georg war leichenblass. »Das verstehe ich auch nicht.«
»Wie bitte? Hab ich mich verhört?« Axel legte den Gummiknüppel quer über Georgs Hals und drückte ihn gegen die Wand. »Dein feiner Enkel«, sagte er, sah dabei aber nicht dem Großvater, sondern Georg in die Augen, der um Luft rang, »hat eine Zwangsarbeiterin aus dem Lager entkommen lassen, und er treibt Rassenschande mit ihr!« So nahe kam er Georg, dass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührten. »Ist es nicht so?«
»Nadjeschka ist eine Zwangsarbeiterin?«, fragte der Großvater.
»Richtig, und auf der Flucht. Georg arbeitet übrigens freiwillig als Lagerführer auf den Möhnewiesen. Das hat er dir verschwiegen, nicht wahr? Er hat in der Schule gekündigt und mich gebeten, ihm stattdessen einen kriegswichtigen Posten zu verschaffen, damit er nicht an die Front muss.«
Der Großvater tastete nach dem Schrank, um sich abzustützen. »Sie ist ein Mensch, Axel. Egal wo sie herkommt. Sie isst, sie trinkt. Sie atmet wie wir. Und sie hat ein feines Herz.«
Er lachte. »Du stammst aus einer anderen Zeit, mein Bester. Genauso könnte eine Katze zum Menschen sagen, dass sie atmet und Milch trinkt und Fisch isst. Wir sind die Überlegenen, und die Slawen, so herzig sie sein mögen, sind rassisch unterlegen.«
»Wer sagt das? Was, wenn sie überlegen sind?«
Axel ließ Georg los und drehte sich um. »Vorsicht, alter Mann. Pass auf, was du sagst! Ich hatte vor, dich zu schonen, aber mach so weiter, und du bekommst das volle Programm.«
Sie maßen sich mit Blicken. Der Alte sagte: »Deine Drohungen kannst du dir sparen. Ich hab keine Angst vor dir.«
»Und du spar dir deine Philosophiererei«, sagte Axel. »Der Krieg hat es bereits bewiesen. Wir herrschen über ganz Europa, und Russland nehmen wir auch gerade ein. Unsere Kultur, Wagner, Goethe, Schiller, Mozart, da kommt keine andere Nation ran. Wir sind das größte Kulturvolk der Erde. Deshalb haben wir das Recht, alle anderen zu beherrschen.«
Draußen jaulte der Luftalarm auf. Er dachte kurz an Anneliese und die Kinder. Aber Neheim wurde meist nur überflogen, hier warfen sie nichts ab.
Die Männer zerrten Nadjeschka aus dem Schlafzimmer. Sie wehrte sich, hielt sich am Türrahmen fest.
Er zog ihr den Knüppel über die Hände und schrie: »Willst du erschossen werden wie deine Lagerkollegin? Stell dich gefälligst nicht so an!«
»Was geschieht mit ihr?«, fragte Georg. »Wo bringt ihr sie hin?«
Ja, jetzt wurde ihm plötzlich klar, wie glücklich er sich hätte schätzen sollen, einen mächtigen Förderer wie ihn zu haben. »Die Hure kommt nach Bergen-Belsen ins KZ , und du, Georg, bist ein Volksverräter und wirst gehängt. Hättest auf mich hören sollen, als es noch nicht zu spät
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