Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
würde sie vom Himmel holen.
    Die See raute auf, er sah weißen Schaum auf den Wellen. Hoffentlich trieb sie der Wind nicht vom Kurs ab. Als die Lichter der niederländischen Küste in Sicht kamen, spürte er auf ungute Weise das Abendessen im Magen, Speck und Eier hatte es in der Offiziersmesse gegeben, das übliche Essen vor einem Einsatz. Niemand konnte diesem Luxus widerstehen. Jetzt bereute er es, so kräftig zugeschlagen zu haben. Er hätte stattdessen einen längeren Brief an seine Mutter schreiben sollen, und nicht diese mickrige halbe Seite. Womöglich war sie das Letzte, was Mutter von ihm hören würde.
    Auch die anderen betrachteten angespannt die Küstenlinie. Das Röhren der Motoren ärgerte ihn, er wünschte sich, er könnte lautlos fliegen und würde nicht mit solchem Lärm auf sich aufmerksam machen.
    »Verdammt, wo sind wir?«, fluchte der Navigator. »Das ist nicht die Schelde-Mündung!«
    »Der Wind muss uns nach Süden abgetrieben haben«, sagte er. »Schau weiter südlich auf der Karte.«
    Hektisch schob der Navigator die eng bedruckte Karte hin und her. »Dann muss es die Halbinsel Walcheren sein. Nichts wie weg hier! Die ist stark mit Flak belegt.«
    Es war zu spät. Sie überflogen bereits das spärlich beleuchtete Land.
    »Süd-Beveland ist auch nicht viel besser«, sagte der Navigator.
    Der Bordingenieur rieb seinen Kettenanhänger, einen Glücksbringer. »Leute, was macht ihr denn!«
    »Wohin soll ich abdrehen?« Kenneth presste die Zähne so stark aufeinander, dass ihn der Kiefer schmerzte. »Ich brauch einen Kurs!«
    Vorn, in der Schnauze, lag der Bombenschütze auf dem Bauch und rollte hektisch seine Notizen ab wie Toilettenpapier. Er rief verzweifelt: »Wenn wir so niedrig fliegen und so schnell, kann ich keine Orientierungspunkte ausmachen! Wie soll ich beim Navigieren helfen, ohne was zu sehen?«
    Kenneth befahl: »Bombe entsichern.« Falls ihnen etwas zustieß, durfte die Bombe auf keinen Fall in die Hände der Deutschen geraten, sonst erfuhren sie alles über die neue Technologie. Er hatte Befehl, die Bombe im Notfall irgendwo abzuwerfen und explodieren zu lassen. Dann zog er die Maschine hoch auf dreihundert Fuß, auch wenn sie das verwundbarer für Nachtjäger machte. Sie brauchten Orientierung, sonst waren sie verloren. Das Gee-Radargerät an Bord war hier nicht mehr zu verwenden, es wurde von den Deutschen gestört. »Seht ihr was?«
    Der Navigator sagte: »Gut, jetzt hab ich’s. Weiter nach Roosendaal. Westlich von Breda muss es eine Kreuzung von drei Gleissträngen geben, von dort setzen wir Kurs nach Osten und treffen auf den Wilhelminakanal, dem können wir eine Weile folgen und vermeiden die Nachtjägerflughäfen in Gilze-Rijen und Eindhoven.«
    Kenneth brachte die Lancaster wieder hinunter bis dicht über die Dächer und Baumwipfel.
    Nach einer langen, konzentrierten Stille sagte der Navigator: »Das war die deutsche Grenze.«
    Schon glänzte unter ihnen der Rhein im Mondlicht. Wie eine Schlange mit silbern schimmernder Haut wand er sich durchs Land, Schleppkähne waren an den Ufern befestigt. Gerade als er zu ihnen hinabsah, flammte ein Suchscheinwerfer auf und blendete ihn. Weitere Suchscheinwerfer schickten ihr Licht ebenfalls steil in den Himmel. Sie schwenkten hin und her auf der Suche nach Beute. Flugabwehrkanonen donnerten los. Bok! Bok! Bok! Er umklammerte das Steuer. Glühende Munition griff nach ihnen, zischte über den Himmel. Der Bordschütze seiner Lancaster antwortete, auch die zwei anderen Flugzeuge rechts und links von ihm schossen auf die Scheinwerfer, zwei von ihnen wurden zerstört und verloschen.
    Endlich, nach einer Minute, befanden sie sich außer Reichweite. Alle drei waren durchgekommen. Doch nun war es mit der Ruhe vorüber. In der Gegend von Borken suchten sie mit fast fünfzig Scheinwerfern den Himmel nach ihnen ab, sein Puls raste, während er versuchte, den Lichtkegeln auszuweichen. Unzählige Flugabwehrkanonen feuerten. Ein Scheinwerfer erfasste ihn, er zog die Maschine nach rechts und entkam dem Licht. So dicht über dem Boden waren sie zu schnell für die Scheinwerfer, da musste einer schon gut sein, um ihnen folgen zu können.
    Nordwestlich von Dorsten wurden wieder alle drei Flugzeuge von Scheinwerfern gejagt, und die Flak beschoss sie. Östlich von Dülmen beschädigte sie Hopgoods linken Flügel. Sie setzte ihm so schwer zu, dass Wing Commander Gibson die befohlene Funkstille brach und der Basis in England eine Warnung zukommen ließ

Weitere Kostenlose Bücher