Nachtauge
von den britischen Aufklärungsflugzeugen geschossen worden waren.
»Diese Dämme führten dem großen Zentrum der deutschen Kriegsindustrie, dem Ruhrgebiet, Wasser zu und versorgten die Munitionsfabriken unseres Feindes mit Strom. Ihre Zerstörung kostete uns acht der neunzehn Lancaster-Flugzeuge, die wir eingesetzt haben. Aber sie wird eine weitreichende Rolle spielen, weil sie den deutschen Ausstoß an Munition reduziert.
Es ist unsere Strategie, Deutschland daran zu hindern, irgendeine Form von Kriegsindustrie in größerem Rahmen fortzuführen. Wo immer diese Produktionszentren bestehen oder gebaut werden, werden wir sie zerstören und die Arbeiterschaft zerstreuen. Das setzen wir unnachgiebig fort, bis das deutsche und das italienische Volk die monströsen Tyrannen abschütteln, die sie ausgebrütet und großgezogen haben.
Unsere Bomber zwingen Deutschland, immer größere Teile seiner Streitmächte von der Front abzuziehen, um sich gegen die Luftangriffe zu schützen. Hunderte von Jagdflugzeugen, Tausende von Flugabwehrkanonen und viele Hunderttausende von Männern, zusammen mit einem großen Anteil der Produktion der Waffenfabriken, sind bereits dieser rein defensiven Funktion zugewiesen worden. All dies geschieht auf Kosten der Kraft des Feindes für neue Aggressionen. Wir lassen nicht zu, dass die Deutschen die Initiative zurückerlangen.
Dies wird ein wichtiger Faktor für das Erringen des Sieges sein. Und Sie sind sicher mit mir einig, dass wir so bald wie möglich unsere Luftstreitkräfte zusammenbringen sollten, um auf ähnliche Weise militärische Ziele in Japan anzugreifen.«
Beifall brandete auf. Die Erinnerung an Operation Chastise hatte den Bann gebrochen. Er wurde wieder ernst genommen. Die Verhandlungen konnten weitergehen. Er atmete erleichtert auf. Schwungvoll brachte er die Rede zu Ende. Operation Chastise hatte den Weg gebahnt. Nun konnte Operation Overlord anlaufen, die Invasion in der Normandie.
Sie wuschen ihre schlammige Kleidung im Krusmecker Strom, einem kleinen Bach im Wald. Zuerst zog sich Georg aus, während Nadjeschka spazieren ging, dann war sie an der Reihe, und er ging spazieren. Er fand einen sonnigen Flecken und legte sich in den klammen Kleidern ins hohe Gras, um sich zu trocknen. Das Hemd streifte er sich über den Kopf und legte es neben sich.
Wie gern wäre er zurückgeschlichen und hätte Nadjeschka heimlich beobachtet. Er schämte sich für den Wunsch, und versuchte ihn vor sich selbst zu entschuldigen. Er wollte ja nur ihre Schönheit bewundern! Die entsetzliche Vorstellung, dass ein Ast knacken könnte und sie ihn erwischte, gab ihm Kraft, der Versuchung zu widerstehen.
Etwas raschelte im Gras. Jemand ging über die Wiese. Er lachte in sich hinein. Selbst schuld, wenn Nadjeschka sich nicht an den Pfiff hielt, den sie als Zeichen vereinbart hatten. Er würde ihr einen schönen Schrecken einjagen.
Tief ins Gras gedrückt, wartete er darauf, dass die Schritte näher kamen, um aufzuspringen. Schon spannte er die Glieder an – da sah er im letzten Moment, dass es ein Mann war, der da vorüberging. Schnell nahm er wieder den Kopf herunter.
Was machte der hier? Weder war es die Jahreszeit, um Bucheckern oder Pilze zu sammeln, noch sah er wie ein Förster aus. Den Flurschütz kannte er vom Gesicht her, der war es nicht. Sie hatten sich weit vom Waldweg entfernt, bewusst ein entlegenes Gebiet des Arnsberger Waldes ausgewählt, um sich dort zu verstecken, bis man überzeugt sein würde, dass sie in der Flut umgekommen waren. Der Mann konnte kein Spaziergänger sein.
Als das Rascheln sich entfernte, hob Georg vorsichtig den Kopf. Der Mann stieg in eine Senke hinter dem Waldrand hinab. Georg wartete, dass er wieder daraus hervorkommen würde, aber er blieb verschwunden.
Das alles war reichlich merkwürdig. Der Nationalsozialismus basierte auf Gruppenerfahrungen, er ermutigte niemanden, Dinge allein zu unternehmen, im Gegenteil: Einzelgängern wurde misstraut. Ein Mann mit kariertem Hemd und Arbeiterhose, so tief im Wald und allein … Wollte er sich etwas antun? Knüpfte er sich womöglich gerade auf?
Georg erhob sich. Er schlich näher an die Senke heran. Mit klopfendem Herzen sah er über die Kuppe. Die Senke war leer. Aber er hätte doch sehen müssen, wie der Mann auf der anderen Seite wieder hinaufstieg!
»Nehmen Sie die Hände hoch«, sagte eine fremde Stimme.
Er gehorchte.
»Wer sind Sie, und was suchen Sie hier?«
Georg sagte: »Ich gehe nur
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