Nachtauge
sorgen schon dafür. Wenn du ein paar Wochen hier lebst und dich nicht mit Seife wäschst, bekommst du Krätze. Milben graben sich in deine Haut und legen ihre Eier darin ab, am liebsten gehen sie zwischen die Finger. Die Haut fängt an zu brennen, und man kratzt sich so lange, bis die Haut aufbricht und blutet.«
Nadjeschka warf das Messer auf den Tisch und hielt sich die Ohren zu. »Hör auf!«
Laut genug, dass sie es trotzdem hören musste, sagte Oksana: »Wenn du Pech hast, gibt es eine Entzündung. Das passiert schnell.«
Nadjeschka nahm die Hände wieder herunter. »Verschwindet durch das Kochen wenigstens der durchdringende Geruch? Oder riecht die Seife nach dem Kadaver?«
Sie lachte. »Verschwinden? Um uns herum steht ein Stacheldrahtzaun, hier verschwindet niemand und nichts. Auch nicht der Gestank.«
»Dann tu irgendwas dazu, um ihn zu überdecken. Rosenblätter oder so.«
Jetzt lachten alle Frauen. »Rosenblätter! Die Kleine ist wirklich zu niedlich.«
Oksana sagte: »Wir können froh sein, dass Herr Hartmann uns Soda besorgt hat von der Apotheke und dass er den Kadaver vom Abdecker geholt hat. Er müsste das nicht tun.«
Eine tiefe Stimme sagte von der Tür her: »Ganz recht, das müsste er nicht.«
Sie fuhren herum. Der Mann mit der schwarzen Lederhand. Eisige Stille senkte sich über die Küche.
»Wie heißt du?« Er trat auf Nadjeschka zu und sah ihr ins Gesicht.
Sie sagte ihren Namen.
»Geh, mach die Baracke sauber.«
Vor Angst konnte sie sich nicht rühren. Warum schickte er sie dorthin? Was hatte er vor mit ihr? Sie schluckte.
»Hast du verstanden?«
Ihre Kehle war plötzlich zugeschnürt. Mit Mühe würgte sie heraus: »Ja.«
»Ob du verstanden hast!«, brüllte er.
»Ich hab Ja gesagt.«
Oksana machte ihr hektische Handzeichen.
»Du hältst dich für schlau, was?«, sagte er leise. »Du meinst, dass du dem Plöger überlegen bist. Aber da täuschst du dich gewaltig, kleines Miststück.« Er packte sie an den Haaren und riss sie in die Höhe.
Der Schmerz jagte durch ihren Körper wie ein greller Blitz. Sie wurde hinausgeschleift, schrie vor Angst. Der Peiniger warf sie in den Staub und setzte ihr den Stiefel auf den Hals.
Da sah sie aus der Verwaltungsbaracke Georg Hartmann, den Lagerführer, treten. Er fragte: »Was geht hier vor?«
»Sie muckt auf«, sagte Plöger. »Störrisches Biest! Ich hab sie angewiesen, die Baracke zu fegen. Da sieht’s aus wie in ’nem Saustall. Und sie fragt: Warum ich?«
»Lass sie los.«
Der Stiefel löste sich von ihrem Hals. Sie stand auf. Ihr Kopf brannte wie von Feuer. So ist es nicht gewesen, wollte sie sagen, aber sie brachte kein Wort heraus. Vor Angst zitterte sie am ganzen Leib. Nur weg von ihm, fort von diesem Ungeheuer! Ihr Herz raste.
Georg Hartmann sah sie ernst an. »Was er sagt, wird getan. Du musst das lernen.« Er wandte sich an ihren Peiniger. »Bring sie in die Einzelzelle.«
Plöger nahm sie am Arm mit einem Griff wie von Eisenklauen. Er zerrte sie über den Platz. Georg Hartmann lief neben ihnen. Vor einer Seitentür in die Verwaltungsbaracke blieben sie stehen. Der Lagerführer holte einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das Vorhängeschloss. Er zog die Tür auf, nahm eine Taschenlampe von der Wand und schaltete sie ein. Ihr Lichtkegel beleuchtete eine Treppe, die abwärtsführte.
»Runter da«, befahl Plöger. Er ließ sie los.
Sie ging die Betonstufen hinab. Unter ihren Füßen knirschten Sandkörner, die sich vom Beton gelöst hatten. Als sie hinter sich Schritte hörte, biss sie sich vor Furcht auf die Zunge. Der Mann mit der falschen Hand folgte ihr. Was würde er ihr im Keller antun, wo sie ganz allein waren? Sie blickte sich um, wurde aber vom Licht der Taschenlampe geblendet.
Plöger herrschte sie an: »Geh weiter!«
Unten angekommen, blickte sie auf Kartoffelsäcke und Kisten mit Steckrüben und Wirsingkohl. Es gab keinen Ausweg, kein Versteck, nur eine Kellertür zur Rechten. Da war er schon hinter ihr. Plöger öffnete die Tür und stieß sie hinein, so kräftig, dass sie das Gleichgewicht verlor. Sie stolperte ins Dunkel. Die Tür wurde geschlossen. Sie hörte, wie sich von außen ein Riegel davorschob und jemand die Treppe hinaufstieg. War er gegangen? Sie hielt die Luft an und lauschte. Es war still, Gott sei Dank.
Vorsichtig tastete sie nach der Tür. Als sie das Holz fühlte, legt sie ihr Ohr daran. Auch die obere Tür wurde verschlossen. Sie hörte ihre flachen, panischen Atemzüge und das
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